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Wehrdienst — Dienst gestrichen

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Die Bundesregierung hat dem Nationalrat den Entwurf eines Gesetzes über den Wehrersatzdienst zugeleitet, dessen Konsequenzen sehr viel weitreichender sind, als es auf den ersten Blick scheint.

Die Formulierungen des vorliegenden österreichischen Gesetzentwurfes sind ein Sprengstoff, geeignet, ein Heer, das bereits Zerfallserscheinungen zeigt, nun vollends aufzureiben, wodurch dieses Gesetz — sollte es tatsächlich so und nicht anders beschlossen werden — eines Tages zu einem zentralen wehrpolitischen Schlüsselgesetz avancieren könnte.

Das in Entwurfsform vorliegende Wehrersatzgesetz ist somit ein echtes Danaergeschenk für die Zweite Republik. Denn es beschert allen wehrpflichtigen Jahrgängen Gummiparagraphen, die es jedem, der aus irgendwelchen Gründen keine Lust hat, einzurücken, gestatten, sich vor dem Wehrdienst zu drücken. Anders läßt es sich leider nicht ausdrücken.

Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Das abwertende Wort vom Drücken ist nicht auf echte Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen gemünzt. Es soll nur gesagt sein, daß jeder, der nichts will, als sich vor dem Wehrdienst zu drücken, und zwar ganz ohne Gewissen, in dem geplanten neuen Gesetz ebenfalls alle Handhaben findet, die er braucht.

Im Entwurf heißt es nämlich, daß sich von der Wehrpflicht jeder befreien kann, der es aus schwerwiegenden Gründen ablehnt, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden, und daß in diesem Falle Dienstleistungen auf anderem Gebiet zu erbringen sind (Krankenanstalten, Sozialhilfe, Katastrophenhilfe). Dabei wird dem wehrpflichtigen Staatsbürger aber keineswegs jenes Maß an weltanschaulicher Gefestigtheit abverlangt, das es ihm ermöglichen müßte, sein Gewissen schon vor dem Eintritt in das Bundesheer zu entdecken. Er kann den Antrag auf Befreiung nämlich auch noch innerhalb von acht Wochen (!) nach der Einberufung stellen — und das heißt in der Praxis sogar noch in der Kaserne.

Über seinen Antrag entscheidet eine Kommisssion beim Innenministerium, und sollte diese Instanz nicht innerhalb von vier Wochen einen Spruch fällen, muß der Antragsteller nach vier Wochen automatisch aus dem Bundesheer entlassen werden. Wenn man die Entscheidungsfreudigkeit und Wehrfreundlichkeit des Ministeriums kennt, und das Gesetz genau durchsieht, kommt man leicht auf die Idee, daß diese Kommission eigentlich kaum je zusammenzutreten braucht — die wehrunwilli gen Rekruten würden dann automatisch dem Bundesheer den Rücken kehren.

Was aber den Wehrersatz betrifft, so könnte er so aussehen, wie sich Kenner bereits künftige Waffenübungen vorstellen — da Vorbereitungen für den Einsatz größerer Kontingente von Wehrunwilligen kaum zu erkennen sind. Aber selbst wenn genügend Planstellen für Wehrdienstverweigerer geschaffen werden könnten — sie hätten dann immer noch, gegenüber ihren wehrdienstleistenden Kollegen, den Vor-, teil, zu Hause schlafen zu dürfen, keiner militärischen Disziplin unterworfen zu sein und allfällige Nachtdienste und Überstunden bezahlt zu bekommen. Die Konsequenzen zu erwartender „Ich-bin-ja-nicht-dumm“-Kam-pagnen sind im Grunde nicht auszudenken. Das neue Gesetz könnte, mit Hilfe einiger, mit oder ohne Absicht, aber wie man diese Regierung und ihre Berater kennt, schon eher sehr bewußt eingefügter Passagen alle bisherigen Bundesheer-Demontageaktionen übertreffen und weitere unnötig machen. Wenn der Entwurf Gesetz wird und wenn die Gegner des Bundesheeres diese Chance nützen, wird künftig möglicherweise nur noch eine kleine Minderheit der Einberufenen länger als wenige Wochen die Uniform tragen. Und es könnte so weit kommen, daß selbst mancher, der ganz gern im Heer bliebe, sich das nicht mehr leisten kann. Weil er nämlich Gefahr liefe, von denen, die das Ableisten der Präsenzdienstpflicht leider mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren konnten, für blöd gehalten zu werden.

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