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Wider die Sinnleere der Manager

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„Die Auflösung klarer Werthier­archien, das Abbröckeln der Auto­rität traditioneller Instanzen wie der Kirche und der Parteien er­schweren dem Menschen die Suche nach Sinn." In der verwirrenden und erdrückenden Informationsflut Ordnung schaffen zu wollen, ist psychologisch vorgegeben, aber als stabilisierende Kraft gegenwärti­ger gesellschaftlicher Entwicklung in Frage gestellt. „Evident ist daher auch, in welchem Spannungsfeld zwischen Komplexität und ihrer .Vereinfachung', gleichzeitig aber auch Überwindung der Vereinfa­chimg zugunsten der Komplexität des Denkens der Manager heute steht."

Das sind nicht Gedanken eines grüblerischen, kulturpessimisti­schen Philosophen, sondern eines ganz und gar realitätsorientierten Mannes, der die Konsequenzen der ungeheueren materiellen Erfolge des industriellen Zeitalters erkennt und aus einer speziellen (system­theoretischen) Sicht zur rückhalt­losen Prüfung der Knappheit die­ses Zeitalters (Umwelt und Natur) mahnt. Die Rede ist vom General­direktor der Girozentrale, Hans Haumer, der in seinem großange­legten Werk über die „Neuen Ma­cher" (Orac Verlag, 1990) die Grundzüge einer humanistischen Führungsethik entwirft.

Die Grundfrage nach dem Funk­tionieren der Gesellschaft, nämlich „daß menschliches Handeln eine Welt von Sachen hervorbringt" (E. Dürkheim), kann nur mit ethisch orientiertem Ordnen beantwortet werden. Diese Feststellung trifft Haumer im Anschluß an die Er­kenntnis der modernen Naturwis­senschaft, daß wir den Wertent­scheidungen nicht ausweichen kön­nen. Die von Max Weber reklamier­te Wertfreiheit hatte viel dazu bei­getragen, daß sich die Welt der Wis­senschaft und die Lebenswelt im­mer weiter auseinanderbewegten.

Gerade deshalb schenkt Haumer den modernen Wissenschaften, der Physik, Biologie und Psychologie besondere Aufmerksamkeit. Bedeu­tungsvoll erscheint ihm mit Recht, daß die alte Vorstellung einer ob­jektiven (empirisch-analytischen) Beschreibung der Natur nach de­ren Erkenntnissen in dem bisheri­gen Ausmaß nicht mehr stimmt. Die Trennung von Ich und Welt, von Subjekt und Objekt, die Auffas­sung von Kausalität wurden in der Atomphysik widerlegt. Raum und Zeit sind nicht mehr absolut, son­dern hängen vom Beobachterzu­stand ab. Hier ist aber, wie uns scheint, ergänzend und klarstellend zu bemerken, daß nach wie vor im Mittelpunkt des Denkstils der modernen Physik die Auffassung des Erkenntnissubjekts als eines „partizipierenden, betroffenen und deshalb auch Verantwortung tra­genden Beobachters" (V. Gutber­iet) steht. Und gerade deshalb zwingt uns, wie wieder mit Haumer zu sagen ist, die Relativität unseres Wissens, unsere Persönlichkeit in Orientierungswerten zu verankern, sie „zurückzubinden" (religio).

Im Zuge dessen kommt es in den letzten Jahrzehnten, wie Haumer feststellt, zum Vordringen von Wertmustern, die Lebensqualität und Selbstverwirklichung in den Vordergrund rücken: „Das mate­rialistische und postmaterialistische Wertmuster verbinden sich in den Uferwirbeln der fließenden Veränderung: Der Mangel an per­sonalem Sinn läßt nach Ersatz su­chen, oft materiellem Ersatz, manchmal auch Ersatz im betäu­benden Selbstgenuß."

In diesem Zusammenhang taucht immer wieder, auch bei Haumer, das Wort „Selbstverwirklichung" auf, das die Markierung des Weges bedeutet, auf dem, was nach dem Trendforscher John Naisbitt vor allem für die USA gilt, die Orien­tierung nach „innen" gesucht wird. Haumers Überzeugung ist es j edoch, daß die Sehnsucht nach narzißti­scher Harmonie oft für das „wunschlose Unglück" verantwort­lich ist, unter dem heute so viele Menschen leide. „Die Angst vor dem Abreißen jeglicher Bindung an die Welt und unsere Mitmenschen ist das Spiegelbild jenes Verlusts an unmittelbarer Realität, den unser Bewußtsein in der modernen Welt erlitten hat." Deshalb will doch auch Haumer den aktuellen Ethik-Boom, Reaktion auf das Defizit an Orientierimg, nicht als Mode abge­tan wissen.

Es besteht aber dennoch im Falle der Unternehmungsethik Haumers kein Grund zu einem „Ärger" über ein Zuviel an-vergeblicher-Ethik, die ein Nachlassen an „kämpferi­scher Gesinnung" mit sich bringen könnte, Ärger über ein „Ethospete­tos", das Herbert Krejci, General­sekretär der Industriellenvereini­gung einmal kritisch beleuchtete.

Effizienz ist und bleibt auch für Haumer das beherrschende Prinzip im Management. Philosophisches Denken über dessen Ziele ohne effizientes Handeln für eine Um­setzung bezeichnet er als Halbheit. Haumer sieht die Divergenz zwischen der jetzt-bezogenen Ratio­nalität der technischen Welt und dem eigenen Anspruch auf Gefühl -auf das also, was heute als die schon erwähnte „Selbstverwirklichung" im Schwange ist - und erkennt diese Divergenz als Herausforderung der Zukunftsbewältigung durch ein dem menschlichen Maß verpflich­tetes Management für Menschen.

Die individualistische Moralleh­re kann unser auf persönlichen Erfolg ausgerichtetes Handeln rechtfertigen. Aber, so betont Hau­mer, „die aktuellen Probleme der Menschheit weisen klar über den Horizont des einzelnen hinweg. Eine individualistische Ethik reicht auch über das Geschäftsleben nicht hin­aus". Wenn wir heute Schwierig­keiten haben, uns Maßstäbe außer­halb der unmittelbaren Lebenser­fahrung zu suchen, „dann brau­chen wir umso eher Maßstäbe einer sozialen Ethik, die den neuen Hori­zont der Verantwortung für die Zukunft widerspiegelt."

Haumer beschwörend: „Wenn Sinnleere und Jobdenken einander die Hand reichen, welch unselige Allianz im Unternehmen!" Und so heißt es dann auch: „Der Gedanke des Sinns in der und durch die Arbeit muß mit dem Grundsatz der Effizienz als betriebswirtschaftli­che Maxime versöhnt werden."

Ohne Zweifel klingt hier die Denkweise einer modernen Men­schenführung in Wirtschaft und Gesellschaft an, die in dem Titel eines Buches des logotherapeutisch versierten Betriebsberaters Walter Böckmann (Bielefeld) treffend for­muliert ist: „Wer Leistung fordert, muß Sinn bieten."

DIE NEUEN MACHER. Aufforderung zu ei­nem Management für Menschen. Von Hans Hau­mer. Orac Verlag, Wien 1990,224 Seiten, öS 298,-

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