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Wunder der Technik

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Moderne Technik kann ich nur bewundern - denn ausnutzen im vollen Umfang kann ich sie nicht. Alle bewundern die Technik, aber aus unterschiedlichen Gründen. Diejenigen, die von der Technik etwas verstehen, bewundern ihre konkreten Fortschritte - die anderen bewundern sie allgemein, aus Respekt vor einem Wunder, das sie nicht verstehen. Ich gehöre zu der zweiten Kategorie.

Der Respekt vor der Technik ist berechtigt, denn sie ist vollkommener als der Mensch. Eine Hi-Fi-Anlage kann zum Beispiel mit hoher Perfektion auch solche Töne wiedergeben, die ein Mensch gar nicht hören kann. Die Technik vervollkommnet sich auch viel schneller als die Menschheit.

Die allzu langsame Entwicklung des Menschen wird allmählich für die Technik zum Problem, das sie lösen muß, wenn sie sich weiter vervollkommnen und ausbreiten will. Ich schreibe zum Beispiel auf einer mehr als dreißig Jahre alten Schreibmaschine und habe nicht die Absicht, mir eine elektrische zu kaufen - da ich sowieso höchstens mit vier, vorwiegend aber mit zwei Fingern tippe, kann ich ihre Vorteile gar nicht ausnutzen. Aus ähnlichen Gründen begnüge ich mich mit einem Plattenspieler, dessen Alter ich überhaupt nicht beurteilen kann, weil er mir einst von jemandem gebraucht geschenkt wurde, der sich ein moderneres Gerät kaufte. Für mich ist er gut genug, weil mein eigener Tonaufnahme-Mechanismus - in den Ohren oder im Hirn -von zu geringer technischer Qualität ist, um Feinheiten wahrzunehmen. Meiner Meinung nach ist die nächste Aufgabe der Tonwissenschaftler, Ingenieure und Firmen nicht die Eroberung neuer Hertz-Bereicne nach oben oder nach unten und auch nicht der Übergang von Quadro- zur Okta-vo- oder meinetwegen Millephonie, sondern die technische Aufrüstung der Aufnahmeapparatur in den Menschen selbst. Wie sie das machen sollen, weiß ich natürlich als technischer Analphabet nicht, aber sie werden schon was finden - vielleicht einen Draht oder ein sensibles Mikromikro-phon, zum Einbauen in das Hirn -schon im Interesse der Erweiterung des Marktes. Denn heute gibt es nur drei Gruppen von Menschen, die sich moderne und teure Hi-Fi-Anlagen besorgen: Musikfeinschmecker, Technikfeinschmecker und Leute, die als solche gelten möchten.

Vielleicht noch eine vierte Gruppe: Menschen, die nicht einmal vortäuschen wollen, daß sie von Musik oder Technik viel verstehen, sondern einfach etwas beherrschen möchten, was vollkommener ist als sie selbst.

Wenn die Technik alle Menschen zu perfekten Hörern machen wird, wird sie weitere Aufgaben haben. Als erstes Antitonanlagen, die selbst Neubauwohnungen von dem Lärm der Umwelt abgrenzen und Störfaktoren im Zimmer, in dem man Musik hören will, eliminieren. Je nach der Zusammensetzung der Hörerschaft, Familienverhältnissen und so weiter, werden es manchmal auch optische Eliminatoren sein müssen. Mit großem Absatz können auch Anlagen mit eingebauten Filtern rechnen, die Schund, gestohlene Melodien und absolut idiotische (für Menschen mit IQ unter 30 bestimmte) Schlagertexte ausschalten, denn die Diskrepanz zwischen der hochentwickelten Technik und dem, was sie vermitteln muß, ist oft unerträglich. Filteranlagen werden somit auch eine Menge erstklassige HiFi-Stille produzieren, die man zum Denken oder zum Gespräch nutzen kann.

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