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Zölibat und „Doppelmoral4'

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In ähnlicher Weise kritisierten jüngst die „Kathpress" und die Bischöfliche Pressestelle Klagenfurt, daß die Massenmedien, vor allem auch der ORF, vom katholischen Weltjugendtreffen in Tschenstochau mit einer Million Teilnehmern viel weniger Notiz nahmen als von der Amtsniederlegung des oberösterreichischen Kaplans Peter Nenning, der sich mit einer Sonntagspredigt von seiner Gemeinde und vom Zölibat verabschiedete und zugleich von einer „Doppelmoral" in der Kirche in dieser Frage sprach.

Der Vorwurf, daß die Medien eher geneigt scheinen, aus geringem Anlaß kirchliche Reizthemen hochzuspielen, als bedeutende internationale Glaubensmanifestationen zu würdigen, ist sicher berechtigt, ändert aber nichts daran, daß man sich immer wieder auch mit diesen Reizthemen befassen muß. Die jüngsten Fälle (neben dem Kaplan legte auch noch ein Ordensmann, der bereits Vater geworden ist, sein Amt nieder) werden ganz sicher nichts an der Haltung der Kirche zum Zölibat ändern, aber vielleicht können sie Anlaß sein, über den Begriff „Doppelmoral" nachzudenken.

Gibt es in der Frage Zölibat wirklich soviel „Doppelmoral"? Wer betreibt sie? Den Verantwortlichen in der Kirche, also Papst und Bischöfen, kann man diesen Vorwurf doch nur machen, wenn man sicher ist, daß diese entweder selbst nicht nach dem Zölibat, den sie predigen, leben oder andere Sexualregeln der Kirche (etwa gegen die Homosexualität) mißachten oder nachweislich wissen und dulden, daß ein wirklich bedeutsamer Prozentsatz der Priester ständig nicht gemäß seinem Zölibatsversprechen lebt, also der Zölibat nur mehr Fassade der katholischen Kirche ist (wobei noch die Frage bleibt, ob man die Ehe deswegen abschaffen sollte, weil es immer mehr Untreue und Ehescheidungen gibt).

Oder richtet sich Nennings Vorwurf gegen seine Priesterkollegen? Schließlich glaubt auch fast jeder Laie, den einen oder anderen nicht-zölibatär lebenden Priester zu kennen, und stellt dann eine Milchmädchen-Rechnung an, daß ohnedies nur mehr eine Minderheit der Kleriker den Zölibat einhält. Wie bei allen Fragen, die in den Intimbereich gehen, wird man hier kaum etwas quantifizieren können, wenn die Betroffenen schweigen und die Vorgesetzten aus welchen Gründen immer - solchen des Nichtwissens, der „Doppelmoral", der Milde oder der Hoffnung, der Betroffene mache nur eine vorübergehende Krise durch - darüber hinwegsehen.

Daß Zölibat - wie Monogamie -lebbar ist, sollte außer Streit stehen. Daß er für so viele lebbar ist, wie Priester zur Aufrechterhaltung des heutigen Seelsorgesy-stems benötigt werden, ist eine andere Frage. Einzelfälle werden freilich das römische Festhalten am Pflichtzölibat kaum lockern. Ein Überdenken dieses Pflichtzölibats scheint nur denkbar, wenn es wirklich viele Priester gibt, die den Zölibat ständig verletzen und diese folgenden Satz aus der erwähnten Klagenfurter Stellungnahme befolgen: „Wer etwas versprochen hat, das er - aus welchen Gründen immer - nicht halten kann, tut gut daran, daraus ehrliche und offene Konsequenzen zu ziehen."

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