7061588-1991_38_20.jpg
Digital In Arbeit

Zölibatskinder: Fröhliche Urstände einer uralten Praxis

Werbung
Werbung
Werbung

Es klingt vielleicht komisch, aber der Zölibat war mit ein Grund, warum ich 1979 als Korrespondent nach Österreich gegangen bin.

Nichfweil er dort strenger oder liberaler eingehalten wurde, sondern weil ich bis dahin bei der Süddeutschen Zeitung unter anderem auch für Kirchenpolitik verantwortlich war und mir das Dauerthema Zölibat zum Hals heraus hing.

Der uralte Pfarrerwitz über die Frage der Zölibats-Aufhebung „Mir werdns nimmer erleben, aber unsere Kinder!" feiert inzwischen in der Praxis fröhliche Urständ' - nicht nur in Österreich.

Auch in Deutschland werden immer wieder neue Fälle bekannt, wo Priester oder Ordensleute wegen ihrer Kinder die Freundin geheiratet haben und deshalb ihren Beruf aufgeben müssen.

Ein ehemaliger Benediktiner beispielsweise, der eine Lehrerkollegin geheiratet hat, nachdem sie zuvor schon heimlich zwei Kinder miteinander hatten, prozessiert derzeit gegen sein bayerisches Kloster. Es geht um die Nachzahlung des Gehalts, das er viele Jahre als Gymnasiallehrer verdiente, von dem ihm aber der Orden immer nur ein Taschengeld ausgezahlt hat.

Die an solchen Fällen immer wieder neu entzündete Grundsatzdiskussion bleibt ewig gleich: Für den Zölibat gibt es keine zwingende Begründung aus dem Evangelium. Es gibt allenfalls eine Empfehlung dafür und eine Reihe von durchaus guten Argumenten praktischer, pastoraler und geistlicher Art. Diese sind alle längst bekannt, erfüllen ihren Sinn jedoch nur, wenn der Zölibat freiwillig übernommen wird. Sobald der Zölibat zwangsweise auferlegt wird und bei späterer Nichteinhaltung automatisch Berufsverbot droht, verliert er jeden ideellen Zweck und wird nur zur Belastung.

Ich kenne das Problem von vielen persönlichen Freunden, die noch im geistlichen Amt stehen, von solchen, die es schon wegen des Zölibats verlassen mußten.

Die einen Priester brauchen 80 Prozent ihrer Kraft, um das Problem im Sinne der Kirchendisziplin zu bewältigen und leiden unter ihrer Einsamkeit und der erzwungenen Unterdrückung ihrer Sexualität. Die anderen pflegen sporadische Gelegenheits-Beziehungen oder haben dauerhafte „heimliche" Verhältnisse, die das Volk längst ebenso kennt wie der Bischof, die aber geduldet werden. Die Toleranz unserer Ordinariate muß allerdings mit Rücksicht auf Rom sofort aufhören, sobald ein Priester oder Ordensmann sich erdreistet, für seine „Frau" oder Gefährtin und seine Kinder die Verantwortung zu übernehmen. Wenn er sie im Stich läßt und verstößt, kann er mit jeder finanziellen Hilfe für Abfindungszahlungen rechnen.

Die Diskussion darüber ist allerdings völlig sinnlos, den über den Pflichtzölibat entschei-denn nur Kirchenmänner, die zum Thema Sexualität längst jenseits von Gut und Böse sind. Sie werden niemals jungen Priestern die Freiheit der Wahl zwischen Zölibat und Ehe geben, die ihnen selbst vor 60 oder 70 jähren verweigert wurde. Das wäre ja noch schöner!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung