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ERICH KELLNER / DAS GESPRÄCH MIT DEM GEGNER

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„Die Selbstachtung, die Menschen sich schuldig sind, fordert heute, auch mit dem ideologischen Gegner im Dialog zu leben. Menschliche Koexistenz ist eine Sache der Humanität, und nur eine zutiefst inhumane Politik kann sie verhindern wollen.“ Diese Worte, gesprochen am 29. April 1965 anläßlich der Eröffnung des großen internationalen Marxismuskongresses der Paulus-Gesellschaft in Salzburg, sind das Glaubensbekenntnis eines Mannes, der sich vorbehaltlos in den Dienst des großen Dialogs, des „aggiornamento“ gestellt hat. Manche nennen ihn einen von seiner Idee Besessenen, andere einen Illusionisten und Utopisten. Wer ihn jedoch näher kennt, weiß, daß beides nicht stimmt und daß Dr. Erich Kellner in echt bajuvarischer Standfestigkeit mit beiden Füßen auf dem Boden der Wirklichkeit steht. Der im bayerischen Grenzort Freilassing bei Salzburg geborene Theologe, vor einigen Jahren noch unbekannter Geistlicher in Frauenchiemsee, liebt es nicht, im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zu stehen; persönliche Würdigungen sind ihm zutiefst zuwider — es sei denn, daß sie gleichzeitig jener Sache dienen, der er sich ganz und gar verschrieben hat. Diese Sache heißt für Erich Kellner „Paulus-Gesellschaft“, deren Geschäftsführender Vorsitzender er ist.

Es war im Jahr 1955, als Doktor Kellner erstmals einen „Freundeskreis“ um sich versammelte, dem von allem Anfang an namhafte Persönlichkeiten aus Politik und Wissenschaft angehörten, und der sich in der Folge zu regelmäßigen Gesprächen mit bekannten Theologen zusammenfand, um typische und unter wissenschaftlich gebildeten Christen weit verbreitete Glaubensschwierigkeiten zu klären. Im Hinter grund dieser von der Paulus-Gesellschaft veranstalteten Gespräche stand die Erkenntnis, daß der christliche Glaube für die Welt vielfach keine Wirklichkeit mehr ist, weil das Christentum den ursprünglichen Charakter des modernen Geistes entschieden verkannt hat. Dr. Kellner ist zutiefst davon überzeugt, daß nur ein Glaube, der durch das Stahlbad der modernen wissenschaftlichen Kritik hindurchgegangen ist, Bestand haben kann. Was ihm vorschwebt, ist die Versöhnung moderner, kritischer Weltschau mit dem überlieferten Glaubensgut und eine zeitnahe und welt- hafte Christlichkeit, die dem skeptischen Menschen von heute wieder glaubwürdig werden kann.

Doch Kellner wollte sich mit diesen theoretischen „Weltanschauungsgesprächen“ nicht begnügen; er sah sehr klar, daß das Problem Wissenschaft-Glaube nicht im luftleeren Raum schwebt, sondern auf dem Boden einer durch Wissenschaft und Technik von Grund auf revolutionierten Gesellschaft, das heißt also in der Praxis, gelöst werden muß. Diese Einsicht führte — fast möchte man sagen mit innerer Notwendigkeit — zum Dialog mit dem marxistischen Kommunismus, der ja den Anspruch erhebt, das adäquate Selbstverständnis dieser sich umwälzenden Wirklichkeit zu sein. Gewisse Gespräche zwischen Katholiken und Marxisten mit zum Teil beachtlichem Niveau hat es schon früher gegeben — in Italien, in Frankreich und anderswo. Aber es ist zweifellos das Verdienst der Paulus-Gesellschaft, den bereits da und dort in Gang befindlichen Dialog systematisch und auf internationaler Ebene fortgeführt zu haben. Kellner ist sich sehr wohl der Gefahren und Risiken eines solchen Dialogs mit dem ideologischen Gegner bewußt. In seiner Eröffnungsrede der jüngsten Tagung in Herrenchiemsee warnte er nachdrücklichst vor der Möglichkeit, daß die Rede vom Dialog zum politisch-propagandistischen Schlagwort entarten könnte. Wenn dieser Dialog mit dem Marxismus irgendeinen Sinn habe — sagte Dr. Kellner —, so den, in die konkrete Wirklichkeit des Hier und Jetzt einzugreifen. „Alles Reden über die Zukunft muß einen Bezug zum konkreten Hier und Jetzt haben, sonst wird es unweigerlich ideologisch. Weder das Christentum noch der Marxismus können heute an der fundamentalen Wirklichkeit des Pluralismus und an dem den modernen Menschen eigentümlichen Geist der Skepsis und der Kritik vorübergehen."

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