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„Körper und Seele“

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Gegen die geniale Typenlelire Kretschmers, deren Ausgangspunkt psychiatrische Beobachtungen ge-fesen waren, wurden unter anderem von E. Jaensch, P. S. Cabot, Allport und W. H. Sheldon verschiedene Einwände erhoben, die sich heute, nach mehr als dreißig Jahren seit Kretschmers erster Publikation, ziemlich gut beurteilen lassen. Mit seinen Biotypen

könne man, so lautet der Tenor, nicht alle Menschen erfassen. Sie seien eben nicht alle entweder mehr „pyknisch-zyklothym“ oder „leptosom-schyzo-thym“. Der Typenforschung fehlte es aber vor allem, trotz interessanter Arbeitshypothesen, wie es der Verfasser richtig formuliert, an der „systematischen Ueberprüfung der erschauten Beziehungen mit einer

wissenschaftlich einwandfreien, die Einzelmerkmale kritisch überprüfenden Methodik“.

Schlegels mit wissenschaftlicher Akribie erarbeitete Konstitutionslehre gründet auf den ärztlichen und konstitutionsbiologischen Beurteilungen, die er an 10.000 Personen durchführen konnte. Es dürfte sich um das größte Material handeln, daß je von einem einzelnen mit einheitlicher anthropologischer Methodik erhoben wurde. Gewonnen wurde dabei eine exakte und tragfähige korrelationsstatistische Sicherung der Zusammenhänge zwischen wohldefinierten Körperbaumerkmalen und den ihnen zugeordneten charakterlichen Eigenschaften. Seine beiden Variationsreihen nennt er „athletisch-asthenisch“ (Leit-merkmal Handumfang) und „andromorph-gynäko-morph“ (Leitmerkmal Querdurchmesser des Beckenausgangs). Die Richtungen der Sympathie und Antipathie sind für den Konstitutionstypologen nun an Hand körperbaulicher Leitmerkmale weitgehend objektivierbar. Aus der Kenntnis der Typenbesonderheiten, der problematischen Zwischenstufen, erklärt der Verfasser Charakterbilder, Krankheitsdispositionen, Sexualität, Eignungsproblem und andere Erkenntnisse, die für den Arzt, Richter, Seelsorger und alle, die an einer leistungsmäßigen oder charakterlichen Beurteilung des einzelnen interessiert sind, sehr nutzbringend sein können.

Zwei Postulate legen allerdings einen Kommentar nahe. Die Problematik vieler Ehen sieht der Verfasser in der mangelnden Kenntnis der konstitutionsbiologischen Grundlagen der Partnerschaft und meint, daß „eine Ueberspitzung des Unauflöslichkeits-gedankens der Ehe naturwidrig und unethisch“ sei (S. 121). Ein den sakramentalen Charakter der Ehe verkennender Gedanke. Die Kirche kann ebensowenig an der Unauflöslichkeit der Ehe rütteln, wie etwa ein Mathematikprofessor, und wäre er Mitglied sämtlicher Akademien der Wissenschaften, in der Logarithmentafel etwas ändern kann. Warum? Weil die arithmetische Wahrheit ja gar nicht ihm gehört. Und eine Kirche, die versucht, die ihr anvertraute Wahrheit zu ändern, würde sich selbst zum Tod verurteilen: ein Maß aus Gummi wäre kein Maß mehr, und ein Gott, der niemandem weh tut, wäre nur ein eitler Götze.

Weiter wird (S. 164) für den vollen Rechtsschutz der Homosexualität plädiert, „soweit es sich bei ihr um eine echte, persönlichkeitsentfaltende und erhaltende Sexualität handelt“. Gewiß, ein oft gehörter Ruf. Sein negatives Echo findet er in dem sich auf medizinische, soziologische und kriminalpolitische Gutachten stützenden Urteilsspruch des Ersten Senats des deutschen Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe vom 10. Mai 1957, womit die von einem Hamburger Bürger.erhobene Verfassungsbeschwerde gegen die .Paragraphen 1-75 und 175 a des Strafgesetzbuohe i als unbegründet zurückgewiesen wurde. Darin wird kategorisch erklärt, daß die Homosexualität gegen das allgemeingültige Sittengesetz und damit auch gegen die von den christlichen Kirchen aufgestellte sittliche Ordnung verstößt.

Dr. Fritz Egger

Schattenreiter. Von Albert Lorenz. Eduard Wancura Verlag, Wien-Stuttgart. 302 Seiten. Preis 79 S.

„Denke ich noch wach oder schaukelt mein Geist auf Traumeswellen? Ich weiß es selbst nicht. Aber je älter ich werde, desto öfter winken diese kristallklar gesehenen Gesichte aus der fernen Vergangenheit, aus der lugend herüber in das letzt ... Vorwärts, ihr Schattenreiter der stolzen altösterreichischen Kavallerie, marsch, marsch, hinein in ein Land, das heute als Operettenutopie erscheint und doch noch gestern mächtige, glänzende Wirklichkeit war!“ So schreibt Lorenz in der Einleitung eines Buches, in welchem er mit faszinierender Lebendigkeit und fast lückenloser Gedächtnistreue seine Erinnerungen an das vor mehr als einem halben Jahrhundert abgeleistete Freiwilligenjahr bei einem k: u. k. Ulanenregiment zur Darstellung bringt. Die Freiwilligenschule in der Breitenseer Kavalleriekaserne, die ersten Wochen beim Regiment, die feldmäßige Ausbildung im Brucker Truppenlager, das unvergeßliche Ereignis einer Besichtigung durch den alten Kaiser, dies alles und vieles mehr aus dem Erleben in seiner Dienstzeit schildert er so, wie es nur einem gegeben sein konnte, der seine militärischen und reiterlichen Pflichten in der alten Armee mit Liebe erfüllt und sich den Geist zu eigen gemacht hat, der in dieser Armee zu einer unerschütterlichen Tradition geworden war: jene einzigartige altösterreichische Mischung von Pflichtbewußtsein, Opferfreudigkeit und Disziplin mit menschlichem Verstehen, einem gesunden Humor und der echten Kameradschaftlichkeit, die wie ein Familrenband alle Angehörigen der bewaffneten Macht ohne Unterschied der Herkunft, der Sprache, des Standes oder Ranges umschloß. Dieses Buch wird nicht nur jedem Altgedienten der kaiserlichen Reiterei und sonstigen Pferdefreunden viel Freude bereiten; es wird auch der jungen Generation viel zu sagen haben, den jungen Leuten, denen in dieser Zeit überschallgeschwinder Flugzeuge und interkontinentaler Raketen „Kavalleristen“ und gar „Ulanen“ fast so fernliegende Begriffe sind wie etwa altgriechische „Hopliten“. — Einige kleine Irrtümer, die dem Autor unterlaufen sind, so hinsichtlich des historischen Ursprungs des „Wasserfalls“ an der Ulanenuniform oder der Zugsbreite in entwickelter Linie oder der Egalisierunesfarbe der Fünferdraeoner. seien hier nicht als Kritik ve'mfkt, sondern als Wunsch nach Richtigstellung in der zweiten Auflage.

Eine Konstitutionslehre für Aerzte, Juristen, Pädago gen und Theologen. Von Dr. Willhart Schlegel. Ferdinand-Enke-Verlag, Stuttgart. 176 Seiten

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