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Das Kartell der Österreicher

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Immer, wenn das Thema Kartellgesetzgebung auf die öffentliche Tagesordnung gesetzt ist, so ist es wie ein Zeiger des politischen Barometers, der auf heftige Atmosphärenstörungen im politischen und volkswirtschaftlichen Räume deutet. Aus diesem Grunde ist denn auch dem Expertenkomitee, das gemeinsam mit dem Unterausschuß des handelspolitischen Ausschusses des Nationalrates den Regierungsentwurf für ein österreichisches Kartellgesetz ergänzen und amendieren oll, nur eine vierzehntägige Frist für seine Vorschläge eingeräumt worden. Die Angelegenheit ist dringlich; bis Anfang November soll dem Ausschuß die verbesserte Fassung der Gesetzesvorlage unterbreitet sein. Im Zentrum des Ab-zielens steht, die Preisbildung durch vertragliche Bindungen von Unternehmerverbänden unter staatliche Aufsicht zu stellen und die Aufsichtsbehörde instand zu setzen, solchen Kartellvereinbarungen, welche die Preise ohne Rechtfertigung steigern oder ihr Sinken verhindern sollen oder überhaupt gesamtwirtschaftliche Interessen gefährden, entgegenzutreten. Dies würde zum Beispiel dann gelten, wenn ein Kartellübereinkommen Erzeugung oder Absatz seiner Branche einschränkt oder auch die wirtschaftliche Tätigkeit der Mitglieder durch Zwangsmaßnahmen beeinträchtigt. Schon der erste Regierungsentwurf macht also nicht nur die amtliche Registrierung aller Vereinbarungen den Kartellen zur Bedingung, sondern sieht auch das Eingreifen der Staatsgewalt gegen die Gültigkeit ungerechter und gemeinschädlicher Abmachungen vor.

Übersieht man die Ausschreitungen, die sich bei wechselnden Gelegenheiten immer wieder durch kartellartige Eingriffe in die freie Wirtschaft — und nicht selten gerade mit der Berufung auf diese Freiheit — vollzogen haben, so möchte der schlichte Staatsbürger fragen, warum nicht längst schon die Gesetzgebung unsittlichen Pakten zusammengeballter wirtschaftlicher Kräfte gegen die Schwachen einen Riegel vorgelegt hat, auch aus Vorsicht schon zu einer Zeit, wo die amtliche Preisregulierung solche Vorkehrungen noch als entbehrlich erscheinen ließ.

Das Kartellwesen ist von so widerspruchsvoller, vielgestaltiger Natur, daß sich die Gesetzgeber in aller Welt vergebens bemüht haben, mit einer allgemein und allumfassend gültigen Definition den Kartellbegriff festzulegen. Was heute schädlich ist, energische Abwehr verlangt gegenüber diesem Wesen, kann morgen für eine von stürmischen irternationalen Konjunkturbewegungen bedrohte große Arbeitermasse Schutz der Existenz bedeuten. Diese wechselhaftige Vielseitigkeit und für den Gesetzgeber schwer faßbare Wendigkeit hat deshalb schon vor vierzig Jahren die damalige scharfe Anti-kartellbewegung in Österreich an dem Versuche, eine befriedigende Lösung zu finden, zum Stehen gebracht. Und damals, da mächtige Kartelle für Eisen und Stahl, für Zucker, für Petroleum von Brüssel und Amsterdam aus eina den Erdkreis überspannende Macht ausübten, und so wie in Frankreich auch in Österreich die Korruption bis mitten in die politischen Parteien und ihre Presse hineintrugen, wäre der Antrieb, diesen Giganten böser Macht mutig zu fällen, ebenso stark gewesen wie heute, da bei uns selbst schon in das Dorf, zu der einstigen Reservestellung einer gesunden christlichen Redlichkeit, die Sucht des Bereicherns, des Erraffens, des Wohllebens auf Kosten des Mitmenschen hinausgedrungen ist.

Aber nicht zuletzt die Unsicherheit im Zugriff gegen die Kartelle, deren Wandelbarkeit als negative oder positive Kraft in der Volkswirtschaft, hat vor dem ersten Weltkrieg wie in der ersten Republik zu einer befriedigenden Schutzgesetzgebung nicht gelangen lassen. Gerne hätte das Dritte Reich, in dem man, wenn es die Arbeiterschaft zu gewinnen galt, die starke Trümpfe in der Sozial- und Wirtschaftspolitik liebte, die Kartellgesetzgebung propagandistisch verwertet. Es ist nicht viel dabei herausgekommen. Als 1938 das deutsche Gesetz auf Österreich erstreckt wurde, senkte sich zwar eine dichte Wolke von staatlich kontrollierten Industrjekartellen auf das Land, darunter 19 der Elektro-, 20 der Textil-, 43 der Eisen- und MetaJlwaren- und 73 der chemischen Industrie, insgesamt über zweihundert an der Zahl. Da jedoch die Durchführungsbestimmungen ausblieben, ist das deutsche Kartellgesetz in Österreich nie zur tatsächlichen Ausführung gelangt; es verschwand so völlig aus dem Leben, daß die zweite österreichische Republik vergaß, es formell aufzuheben. Noch vielsagender ist die Geschichte der amerikanischen Antitrust- und Anti-monopolgesetzgebung, die um die Wende des Jahrhunderts den Ausschreitungen konzentrierter kapitalistischer Großmacht, diesen Staaten im Staate, mit großer Wucht sich entgegenwarf, aber schon in den zwanziger Jahren und noch späterhin an bestimmten Stellen der Wirtschaft den Kurs änderte und sogar an Stelle der

Antitrustlegislatur die „Sicherung der allgemeinen Wohlfahrt durch Förderung der industriellen Zusammenschlüsse“ als Aufgabe verkündete.

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