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Schiller in der Krise

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Die These, daß die Konjunktur in der deutschen Bundesrepublik zu Jahresmitte ohnehin ohne wäh-rungs- und wirtschaftspolitische Maßnahmen der Regierung sich abschwächen würde, hat sich in der Zwischenzeit als nicht unbedingt realistisch erwiesen. Denn was der CDU/CSU-Oppositiom als parlamentarische Munition nur wünschenswert erscheint, machte dem Wahlkampfstar Nummer 1, Bundesminister Schiller, schwerstens zu schaffen. Schiller hatte noch zu Jahresanfang gegen den Rat der Fachleute seine Finanzpolitik für die zweite Hälfte 1970 auf das Anreizen neuer expansiver Kräfte eingestellt. Di* „Süddeutsche Zeitung“ hatte damals sofort mit der „Headline“ gewarnt, der Boom gehe weiter. Und tatsächlich lassen sowohl die Preise, die weiter anstiegen, wie auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt zumindest derzeit nichts von einer Ab-schwächung erkennen. Alles deutet auf eine Fortsetzung der derzeitigen Situation hin.

• Denn die Auftragsreserven der deutschen Industrie bewegen sich in nie erreichten Rekordhöhen,

• und die Zahl der angeforderten Gastarbeiter ist mit über 100.000 höher als je zuvor.

Die Lebenshaltungskosten in Deutschland waren zu Ende Jänner um rund 4 Prozent höher als zum selben Zeitraum des Vorjahres, und man rechnete auch bei größtem Wohlwollen für die derzeitige Koalition für 1970 mit einem Ansteigen um zirka das Doppelte. Das aber würde — ohne Prophet zu sein — sicher die Gewerkschaften auf den Plan rufen.

Der Gelehrte Schiller dürfte hier dem Minister einen Streich gespielt haben. Denn der Glaube des Professors an die Periodizität der Konjunktur dürfte zu dessen Handeln in der Budgetpolitik geführt haben. Ex-wirtschaftsminister Erhard, und nicht nur er allein, verwies aber Schiller schon vor Jahresfrist auf das Beispiel der USA, das zeige, wie eine Konjunktur auch weit länger, als hierzulande angenommen, dauern könne.

Allerdings könnte dem derzeitigen Boom wieder eine ähnlich starke

Rezession folgen, wie der Hochkonjunktur 1965/66 das Tief von 1967 folgte. Die Situation im deutschen Wirtschaftsgeschehen ist nämlich durchaus ähnlich.

Wesentlich gefahrlicher als 1966 dürfte aber heute die Lage in der deutschen Bundesrepublik dadurch sein, daß, wie man immer wieder in Fachkreisen meint, die derzeitige Regierung in Bonn viel zuwenig für eine Abkühlung der Konjunktur getan hat und insgeheim nach wie vor einen expansiven Stil betont. Denn die Erklärung des deutschen Notenbankpräsidenten Klasen — die Folgen der jüngsten Diskontsatzerhöhung werde stark sein — hat sich inzwischen als Seifenblase erwiesen. Die Staatsfinanzen blieben nämlich in ihrer Wirkung expansiv. Wohl hätte Schiller selbst zweifelsohne das richtige Medikament für eine Verminderung des Booms gefunden, aber seine Vorschläge, mit fiskalischen Mitteln zu Leibe zurük-ken, blieben aus politischen Motiven ungehört beziehungsweise unerhört. Der deutsche Bundeswirtschaftschef wollte nämlich bereits zu Jahresbeginn durch eine zeitweise Erhöhung der Einkommensteuer eine Ab-schwächung der Kaufkraft erreichen, aber vor allem die Gewerk-schaftsgremden stellten sich diesem Plan entgegen.

Mit der derzeitigen, von Diskontmaßnahmen bestimmten Konjunkturpolitik hat man nämlich nur erreicht, daß die Kreditkosten in den letzten Monaten stark angestiegen sind und sowohl Industrie wie Handel die durch höhere Kreditkosten gesteigerten Gestehungspreise zur Gänze auf den Konsumenten abwälzen. Die gesteigerten Lebenshaltungskosten steigern aber damit die ohnehin in der Bundesrepublik vorhandenen Inflationstendenzen. Schillers Stern ist durch diese Klemme, in der sich die Bundesrepublik befindet, jedenfalls in der Popularitätskurve weiter abgesunken, obwohl ihn nur teilweise eine Schuld an der Situation trifft. Da sich Brandt aber derzeit durch seine riskante Politik gegenüber der DDR ohnehin im Kreuzfeuer der Opposition befindet, wird er sich kaum von Schiller trennen können.

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