Anatomie des Skandals

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Manche Politiker werden zu Opfern von Skandalen, andere nicht. Aus aktuellen Anlässen eine Analyse, wie Skandale funktionieren.

Skandale können als öffentliche Inszenierungen mit folgenden Elementen untersucht werden: Es muss ein behaupteter (moralischer oder strafrechtlicher) Regelverstoß des Skandalisierten ("Opfers") vorliegen; dies muss von einem Aufdecker öffentlich angeprangert werden; der Skandal braucht eine öffentliche Bühne (typischerweise die Massenmedien) und ein Publikum (die Leser, Seher und Hörer dieser Medien). Bei Politskandalen müssen politische Amtsträger skandalisiert und politische Regelbrüche behauptet werden, und es interessieren natürlich auch die politischen Auswirkungen des Skandals.

Was ist ein Skandal?

Welches Verhalten als skandalös angesehen wird, hängt vom politischen Standpunkt und den moralischen Standards der Beobachter ab und hat sich daher im Laufe der Zeit teilweise geändert; ob das Publikum die Vorwürfe teilt, ist also keineswegs gesichert. Themen der behaupteten Verfehlungen sind in Österreich vor allem Amtsmissbräuche/Korruption und Privilegien beziehungsweise ein Sich's-Richten-Können von Mitgliedern der politischen Klasse und deren Günstlingen.

Seit den achtziger Jahren kam zunehmend auch der Umgang mit der NS-Vergangenheit dazu. Das Privatleben von Politikern wurde erst in den neunziger Jahren relevant: Das Sexual- und Familienleben wird, dem spektakulären Einzelfall UHBP Klestil zum Trotz, bisher normalerweise nicht in den Medien abgehandelt; sonstige Verfehlungen, wenn sie an die politische Glaubwürdigkeit der Person/Partei rühren, werden aber allmählich wichtiger (etwa: schwer betrunken Autofahren durch einen Sicherheitssprecher, Fälle sexueller Belästigung et cetera).

Als Aufdecker treten konkurrierende Politiker und Journalisten auf - Politskandale sind Konflikte um Machtpositionen oder um die Deutungshoheit über politische Sachverhalte. Regelmäßig sind nur einzelne Journalisten über die angeprangerten Sachverhalte detailliert informiert; entscheidend für erfolgreiche Skandalisierungen ist aber das Erzeugen einer gleichgerichteten "öffentlichen Meinung": Die Causa muss auch von wichtigen (anderen) Tageszeitungen aufgegriffen und kommentiert (nicht nur beiläufig gemeldet) werden, und die Beschuldigten müssen zur Rechtfertigung vor laufender Fernsehkamera gezwungen sein.

Diese Übernahme der Situationsdeutung ist deshalb nicht der Normalfall, weil solche Sachverhalte selten neu sind: In der Bevölkerung wie unter Journalisten gehört es zum Alltagswissen, dass sich Politiker manchmal aufreizende Privilegien zuschanzen, parteipolitische Günstlingswirtschaft häufig und eine verharmlosende Sicht der NS-Vergangenheit in Teilen der FPÖ keineswegs untypisch ist. Oft wird Politikern etwas vorgeworfen, das viele Österreicher für sich als Privatleute als Kavaliersdelikte empfinden würden; manchmal spekulieren Vorwürfe allzu vordergründig mit einer verbreiteten Neidkultur.

Sachverhalte müssen daher einen gewissen Neuigkeitswert beziehungsweise zusätzliche farbige Facetten haben; dies können, wie derzeit die Bonusmeilenaffäre in Deutschland zeigt, angesichts der "eigentlichen" Probleme auch vergleichsweise Lappalien sein. Nicht unbedingt die Millionenspende an eine Partei, sicher aber die Übergabe im Geldkoffer zu nachtschlafener Stunde im Parlament, im Billa-Sackerl im Klub oder im Kuvert beim Parteianwalt ist so ein Faktum.

Laufende Gerichtsverfahren sind häufig ein wichtiges Element, den Skandal über einen längeren Zeitraum am Leben erhalten zu können; ein rechtskräftiger Freispruch oder Sieg in Zivilverfahren bedeutet dann freilich oft auch das Auslaufen des Politskandals.

Gaugg, Höchtl, Rechberger ...

Politskandale sind stets hochgradig personalisiert. Daher ist ideal, wenn der Missstand ein Gesicht bekommt, in dem die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität sinnfällig zum Ausdruck kommt. Nicht die bekannte Tatsache, dass vor 1996 Parlamentarier auch ein Beamtensalär beziehen konnten, ohne dafür zu arbeiten, lieferte den ultimativen Anstoß für einen folgenreichen Privilegienskandal, sondern Universitätsassistent Josef Höchtl, der von seinen Parteifreunden und der Öffentlichkeit als gleichermaßen farbloser wie überehrgeiziger Funktionär angesehen wurde. Ämter- und gehaltskumulierende, von ihrer Basis weit abgehobene Gewerkschaftsfunktionäre fanden zum Beispiel im steirischen Arbeiterkammer-Präsidenten Alois Rechberger ihre Zuspitzung, der sein atemberaubendes Gehalt noch dazu selbst - zudem rechtswidrig - initiiert hatte. Reinhard Gaugg schließlich verkörperte in den vergangenen Wochen aufs Trefflichste die rasante Entwicklung der FPÖ von der Antiprivilegien- zur Privilegienpartei.

Politiker sind aber keine hilflosen Opfer von Skandalisierungen. Bei Spitzenfunktionären etwa sind nur dann Konsequenzen wahrscheinlich, wenn die Angelegenheit bei den nächsten Wahlen absehbar schaden könnte. Entscheidend ist auch das persönliche Geschick beim Skandalmanagement, auch bei der Neutralisierung innerparteilicher Konkurrenten: Die geflügelte Steigerungsform "Feind-Todfeind-Parteifreund" weist darauf hin, wo oft die eigentlich gefährlichen Akteure zu finden sind; häufig stammen die kompromittierenden Informationen gerade von innerparteilichen Gegnern. Wenn einflussreiche innerparteiliche Akteure die Vorwürfe aufgreifen, sind die Karten oft schlecht, anders als wenn die Partei einhellig hinter dem Angegriffenen steht.

... Haider, Schüssel, Vranitzky

Dies erklärt, warum massive Skandalisierungen eher die Karrieren von Politikern der zweiten oder dritten Reihe, nicht aber der Parteiobleute beenden.

Quod licet Iovi, non licet bovi: Franz Vranitzky wurde in den späten achtziger Jahren vor allem seine dienstrechtlich nicht erforderliche Abfertigung vorgeworfen, die ihm sein früherer Arbeitgeber, die verstaatlichte Länderbank, nach Eintritt in die Regierung bezahlt hatte. Weil dem Großteil der Journalisten und der Bevölkerung klar war, dass er durch seinen Eintritt in die Politik letztlich markante Einkommensverluste in Kauf genommen hatte, verlief die Causa dennoch im Sande.

Wolfgang Schüssel, der als Außenminister in der peinlichen Amsterdamer Frühstücksaffäre noch sehr ungeschickt reagiert hatte, wurde ab 2000 wegen seiner überaus zurückhaltenden, koalitionsinterne Konflikte vermeidenden Kommentierung von Affären des Koalitionspartners FPÖ als "Schweigekanzler" sprichwörtlich. Diese Strategie des Fast-Ignorierens bewährte sich bisher auch bei einem vom Nachrichtenmagazin News erhobenen Korruptionsvorwurf: In der Hoffnung, geklagt zu werden und vor Gericht den Kanzler unter Wahrheitspflicht befragen zu können, behauptete News ab Spätherbst 1999 wiederholt, dass die ÖVP für den Kauf eines Radarsystems durch das Bundesheer hohe Parteispenden erhalten habe. Schüssel, als früherer Wirtschaftsminister Adressat des Vorwurfs, beschränkte sich auch hier auf knappe Dementis, und da weder parteiintern eine Führungsdebatte ausbrach noch der neue Koalitionspartner FPÖ die Causa aufgriff, blieb die Skandalisierung bislang erfolglos.

Jörg Haider schließlich ist in einem doppelten Sinne "Skandalpolitiker": Einerseits tritt er selber regelmäßig als Skandalisierer von Machtmissbrauch und Privilegien auf. Andererseits ist er seit den achtziger Jahren besonders wegen seiner Signale an "Ewiggestrige" selbst Ziel von Angriffen. Obwohl sein Lob der "ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" 1991 sogar zu seiner Abwahl als Kärntner Landeshauptmann führte, blieben die Kritiker bisher letztlich erfolglos: Innerparteilich können diese Affären Haider so lange nicht schaden, als fast alle Funktionäre ihr Mandat der erfolgreichen Wahllokomotive Haider verdanken und er vielen Funktionären ohnehin aus der Seele spricht. Weiters hat er es immer wieder geschafft, bei eigenen Fehltritten und solchen von Parteifreunden durch Rückzugsdrohungen (samt anschließenden Unterwerfungsgesten der übrigen FPÖ-Funktionäre), aggressive Gegenangriffe und sonstige Ablenkungsmanöver die öffentliche Debatte geschickt in eine andere Richtung zu drehen.

Ernüchternde Bilanz

Die eigentliche Messlatte jedes Politskandals liegt in dessen Konsequenzen, und die Bilanz eines guten Vierteljahrhunderts Aufdeckjournalismus ist eher ernüchternd: Nur in bestimmten Fällen beenden Skandale politische Karrieren, in manchen Bereichen sind auch strukturelle Reformen zu verzeichnen. Das Image der Politiker hat sich langfristig deutlich verschlechtert; diese haben manche Privilegien aufgeben müssen. Skandale sind aber nie unmittelbar wahlentscheidend gewesen; im Gegenteil haben sie es Obleuten betroffener Parteien sogar ermöglicht, sich als "Saubermänner" zu präsentieren. Und an der Wahlurne zählen vor allem Erwartungen an die künftige Politik; Skandale sind dann eben oft schon "Schnee von gestern".

Der Autor arbeitet als Politologe in Wien.

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