Bubble - © Illustration: Rainer Messerklinger

Martin Blumenau: „Das ist eine Schimäre“

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FM4-Koordinator Martin Blumenau über die politische Dimension des Song Contests, den Einfluss „linker ­Kulturdebatten“ auf den Mainstream, Gender-Fragen, Rechtspopulismus, Beyoncé und Andreas Gabalier.

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FM4-Koordinator Martin Blumenau über die politische Dimension des Song Contests, den Einfluss „linker ­Kulturdebatten“ auf den Mainstream, Gender-Fragen, Rechtspopulismus, Beyoncé und Andreas Gabalier.

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Martin Blumenau ist seit Gründung des ORF-Jugendkultursenders FM4 eines seiner Masterminds. Nach Anfängen bei heimischen Printmedien und Radioformaten (u. a. der legendären „Musicbox“ auf Ö3) konzipierte er 1994 gemeinsam mit Angelika Lang und Mischa Zickler die öffentlich-rechtliche Jugendschiene FM4. Blumenau polarisiert u. a. jeden Mittwoch die Hörerschaft mit seiner Phone-in-Sendung „Bonustrack“, bei der er Anrufer auch gerne mal aus der Leitung wirft. Im Interview mit der FURCHE spricht er über den Eurovision Song Contest (ESC) als Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen, die Wechselwirkung zwischen politischer „Hard-“ und kultureller „Softpower“, die Umbrüche der 1960er, Ambivalenz in der Popkultur – und erklärt, was Gil Scott-Heron mit Janelle Monáe und der Superheldenfilm „Black Panther“ mit der US-Bürgerrechtsbewegung zu tun hat.

Die Furche: Für FM4 spielte der Song Contest ja eine nicht unwesentliche Rolle, weil Stermann und Grissemann ihn lange Jahre ironisch kommentierten. Welchen Bezug hast du zum ESC?
Martin Blumenau: Außer, dass ich bei der Regie zu Stermann und Grissemann erstmals damit in Kontakt gekommen bin, eigentlich keinen sonderlichen. Hin und wieder ergibt sich, dass ich ihn in einer größeren Gruppe gemeinsam anschaue. Der Song Contest als Phänomen ist aber schon interessant. Und in den vergangenen Jahren hat sich dort einiges an gesellschaftlichen Entwicklungen manifestiert. Man kann dazu allerdings auch einen Bezug entwickeln, ohne sich das anschauen zu müssen.

Die Furche: An welche gesellschaft-
lichen Veränderungen denkst du?

Blumenau: Conchita Wurst war ja zum Beispiel nicht die erste, die beim ESC mit Gender-Diversität das Interesse auf sich gezogen hat. Da gab es auch schon zuvor einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer und sogar eine Siegerin.

Die Furche: Dana International aus Israel gewann 1998 als transgeschlechtliche Sängerin.
Blumenau: Für dieses Widerspiegeln gesellschaftlicher Entwicklungen war der Song Contest immer ein guter Boden. Denn weil die diversen LGBTIQ-Communities dort Stammgäste sind, war die Veranstaltung immer ein Forum, an dem sich diese Themen entzünden und gut diskutiert werden konnten. Nachdem der ESC so eine breite Mainstream-Öffentlichkeit hat, müssen sich eben auch Menschen, die sich sonst nicht mit einer Frau mit Bart beschäftigen, damit auseinandersetzen. Das löst Debatte aus. Und Debatte per se ist immer gut.

Die Furche: Welche Rolle spielt kulturelle „Soft Power“ für Politik und Gesellschaft?
Blumenau: Da muss man grundsätzlich aufpassen, sich nicht in schwärmerischen Sphären zu verlieren. Denn der ganz konkrete Einfluss war immer ein geringer und wird auch künftig ein geringer sein. Die Musik ist wie alle Künste ein Begleiter gesellschaftlicher Debatten, kann sie voran- und in bestimmte Richtungen treiben, sie fokussieren. Der Gender- und Sexualitätsnormen-Diskurs etwa wurde durch den ESC ordentlich befeuert, keine Frage. Aber wohin sich der gesellschaftliche Mainstream dann tatsächlich wendet, ist davon eher unberührt. Und wie sich politische Entscheidungen entwickeln, wird Popmusik letztlich nie beeinflussen können. Es gibt da dieses Narrativ, wonach die linke Kulturdebatte den Mainstream quasi für sich gekapert hat und einen unfassbaren Einfluss auf ihn ausübt. Das ist eine Schimäre.

Die Furche: Welche Funktion erfüllt da eine Figur wie Andreas Gabalier?
Blumenau: Er begleitet eine gesellschaftliche Strömung, die ganz offen vor uns liegt: Rechtspopulismus mit „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Anklängen. Und auch immer wieder klaren Übertretungen, die mit „Na geh, stellt’s euch nicht so an“ als augenzwinkernd dargestellt werden. Das sind die gleichen Mechanismen, die Rechtspopulisten bis hin zu Rechtsradikalen auch nutzen. Insofern ist es der exakte Spiegel einer ganz klaren gesellschaftlichen Entwicklung. Die – genauso wie alle anderen Bereiche – nicht für alle gilt, sondern bestimmte Gruppen bestätigt und inhaltlich einkassiert. Das ist natürlich eine Wechselwirkung.

Janelle Monae - US-R&B-Star Janelle Monáe ist eines der Aushängeschilder einer feministisch geprägten Sängerinnen-Generation, die sich standardisierten Zuschreibungen widersetzt. - © Foto: Getty Images / Dimitrios Kambouris for The Met Museum/Vogue
© Foto: Getty Images / Dimitrios Kambouris for The Met Museum/Vogue

US-R&B-Star Janelle Monáe ist eines der Aushängeschilder einer feministisch geprägten Sängerinnen-Generation, die sich standardisierten Zuschreibungen widersetzt.

Die Furche: Pop und Unterhaltung sind Phänomene ihrer Zeit. Das Phänomen Gabalier wäre also vor 20 Jahren nicht möglich gewesen?
Blumenau: Da gab es dann eben andere Phänomene. Vor 20 Jahren waren unter anderem die „Böhsen Onkelz“ auf ihrem Höhepunkt. Das ist die gleiche Geschichte in einem anderen Bereich, mit einer anderen Verve, Härte und Geschwindigkeit. Aber letztlich ging es da auch um: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. Und: Hoppala, jetzt sind wir da zu weit gegangen – na, wir haben’s ja nicht so gemeint. Das ist dasselbe in Grün.

Die Furche: Miteinander verwoben waren (Pop-)Kultur und gesellschaftliche Veränderungen schon immer. Die 1968er wären ohne Janis Joplin und Jimi Hendrix nicht vorstellbar. Die US-Bürgerrechtsbewegung nicht ohne James Brown und Gil Scott-Heron. Und eine junge, vom Netz geprägte Feminismus-Generation vielleicht nicht ohne Janelle Monáe und Beyoncè. Oder?
Blumenau: In dem, was sich im von Frauen geprägten R&B heute tut, sehe ich keinen großartigen Umbruch. Das ist eine Fortführung von Traditionen, die deswegen augenfälliger wird, weil die Frauen jetzt stärker sind als die Männerfiguren im gleichen Umfeld. Was vielleicht auch damit zu tun hat, dass die dortigen Männerfiguren eher einen Knall haben und nicht ganz so ernst genommen werden können. Junge Menschen können vielleicht Beyoncé ernst nehmen, aber Kanye West nicht.

Die Furche: Was ist das, wenn es kein Umbruch ist?
Blumenau: Es ist die logische Konsequenz einer Tatsache: dass die Selbstermächtigung, die aus dem älteren Feminismus in die nächsten Generationen hineingetragen wurde, jetzt Früchte trägt. Im Gegensatz zur Bürgerrechtsbewegung, für die es ein tatsächliches politisches Ziel gab, wüsste ich jetzt aber nicht, was das konkrete politische Ziel von Beyoncé ist. Das ist eher ein gesellschaftlicher Anspruch, bei dem es letztlich um Gleichstellung geht. Das ist auch extrem wichtig, aber eher ein Prozess als ein Umbruch. Was sich in den Sechzigerjahren getan hat, war ein tatsächlicher Umbruch, weil die Themen vorher nicht existiert hatten oder totgeschwiegen und von den Definitionsmächtigen niedergehalten wurden. In dieser Zeit hat sich Entscheidendes verändert – und seither gibt es diverse Debatten, Stränge und Zielrichtungen, die von verschiedenen Akteuren verfolgt werden. Alles, was da heute passiert, baut auf dem Sockel auf, der in den Sechzigerjahren errichtet wurde. Auf dem Versuch der Befreiung auf allen möglichen Ebenen: gesellschaftliche Modelle, Sexualität, Drogen. Aber eben auch politische Freiheiten und politische Grundrechte.

Die Furche: Der große Bereich HipHop und „Black Music“ bietet vielleicht ein besonders lohnendes Spannungsfeld, um Wechselwirkungen von Musik, Gesellschaft und Politik zu betrachten. Da exis­tieren marxistisch geprägter Antikapitalismus und Konsumhuldigung, Feminismus und Sexismus, Selbstermächtigung und Selbststereotypisierung fast schon friedlich nebeneinander. Und was einst als Sprachrohr der Ghettos entstand, sich mancherorts zu „black America’s CNN“ auswuchs, wie Chuck D von Public Enemy das einst nannte, ist heute die globale Popmusik Nummer 1.
Blumenau: Der plötzlich zum Feministen erwachte John Lennon ist auch immer neben Led Zeppelin gestanden, in deren Texten es darum ging, dass das Mädchen jetzt gefälligst einen „spoon full“ aus ihm rausholen soll. Da existierte also auch alles parallel. Und das geht auch gar nicht anders: Populäre Musik deckt einfach alle Interessen ab. Die allermeisten von uns sind nicht 24 Stunden am Tag an Gesellschaftsveränderung interessiert, sondern es geht um alle anderen Bereiche genauso. Qualitativ hochstehend wie „tiaf“. Deshalb kann ein mittlerweile zu einem gro­ßen kommerziellen Player angewachsener R&B-Urban-Hip-Hop-
Bereich auch gar nicht anders, als alles abzudecken. Und wenn das nicht von selbst so wäre, dann würde die Industrie es wohl dahingehend steuern, dass es so breit wie möglich daherkommt. Das ist bei allen aktuell wichtigen Künsten genauso – auch bei Serien. Und die halte ich für die aktuell wichtigste Ausdrucksform, in der am meisten passiert und weitergeht. Das alles aus einer Mischung von kommerziellem Kalkül und Bauchempfindung von Serienschöpfern, die sich als Autoren oder sogar Künstler begreifen.

Die Furche: Hast du den Film „Black Panther“ gesehen?
Blumenau: Ja.

Die Furche: Er wurde in Teilen der schwarzen Communities als Selbstermächtigungs-Epos gefeiert, weil er erstmals einen schwarzen Superhelden zeigte. Andere kritisierten, die Art der Darstellung würde erst recht Stereotype über „Africans“ zementieren.
Blumenau: Beides ist richtig. Aber ein Blockbuster wird nicht ohne Stereotypisierung auskommen können. Und die Effekte der Selbstermächtigung waren die wesentlich höheren. Denn der Film war ja ein völlig überraschender und unfassbarer Erfolg – und hat gleichzeitig vor Augen geführt, wo bis dato die Leerstellen lagen. Dass es bis dahin nämlich tatsächlich keine Superhero-Identifikationsfigur für schwarze Jugendliche gab. Ähnliche Geschichten sind knapp zuvor mit Frauen abgelaufen, die die längste Zeit auch nur Sidekicks waren. Heute ist „Captain Marvel“ eine Hauptfigur – und es ist eine Frau. Eigentlich ein Irrsinn: Bis vor Kurzem musstest du dir deine weiblichen Comic-Stars mit der Lupe suchen. Und wenn du sie gefunden hast, waren sie eher auf der düsteren Seite.

Die Furche: Der Jugendsender FM4 spielte immer eine zentrale Rolle für die Identifikation junger Menschen. Wie sehr tut er das noch in einem Zeitalter, in dem ihre Social-Media-Identität für Junge weit wichtiger ist als ihre musikalische?
Blumenau: Schwer zu sagen, weil es auch über die „guten alten Zeiten“ keine verlässlichen Werte oder Zahlen gibt. Mittlerweile weiß man viel besser, wer was wie wo hört – oder im Falle von FM4 auch liest und sieht. Denn FM4 hat sich über das reine Radio hinaus zu einem digitalen Player entwickelt. Eigentlich ja schon relativ lange. Denn wir haben im Jahr 2000 mit einer Website angefangen – also zu einem Zeitpunkt, als in Österreich die meisten noch gar nicht wussten, wie man das schreibt. Der Wandel hängt mit der kompletten Zersplitterung und Diversifizierung von Popmusik zusammen. Zu den Anfängen von FM4 konnte man noch grob vier oder fünf „Stämme“ ausmachen, die sich in ihrem Hör- und Ausgehverhalten auf Dinge einigen konnten. Die man über deren interne Gemeinsamkeiten erreichen konnte: Alternative-Rock und -Pop, „Black Music“, Metal, Hip-Hop, elektronische Tanzmusik jenseits des Kommerz-Bereichs.


Die Furche: Und heute?
Blumenau: Heute ist alles viel zersplitterter, komplexer – und natürlich global vernetzter. Im prädigitalen Zeitalter bestand noch die Notwendigkeit einer lokalen Vernetzung, weil man eben nur Kontakt zu Menschen aus der Gegend haben konnte. Man einigte sich auf Kompromisse, veranstaltete Parties, die den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellten. Heute vernetzt man sich mit seinen ganz kleinen Spezialinteressen global – und ist damit auch Mitglied einer Community. Dieser Tatsache heute eine mediale Abbildung zu geben, wird immer schwieriger. Es ist auch fraglich, ob das noch sinnvoll ist. Was FM4 versucht, ist weiterhin die kleinsten gemeinsamen Nenner aller existierender Jugendkulturen auszustellen.

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