Die Macht der Stimmlage

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Wie Engagement und Partizipation tatsächlich Dinge zum Besseren verändern können, zeigte sich letzte Woche eindrucksvoll auf Facebook. "Bitte ÖBB! Lasst bei dieser Kälte über Nacht die Bahnhöfe offen!“ appellierte eine Facebook-Gruppe an die Bundesbahn. Nach vier Stunden hatte die Initiative über 500 Unterstützer, nach 48 Stunden waren es mehr als 5000. Darauf reagierte die Bahn prompt und fand innerhalb weniger Stunden eine Lösung. Die ÖBB stellen seither in ganz Österreich warme Räume und beheizte Waggons zur Verfügung, in denen Obdachlose übernachten können. Und zwar so lange, bis die Kältewelle vorbei ist. Noch besser: Die Spontan-Aktion geschieht in Kooperation mit Hilfsorganisationen. Der Begriff "soziales Netzwerk“ bekommt durch diese Initiative eine neue, doppelte Dimension.

Mustergültige Spontan-Reaktion

Die Unterstützer auf der Mitmach-Plattform zeigen mustergültig, wie eine Gesellschaft auf Bedürfnisse reagieren kann: Engagierte Bahnfahrer dulden nicht, dass Bahnhofsmitarbeiter frierende Menschen - regelkonform aber herzlos - in die Kälte schicken. Auf die gemeinsame Initiative folgt eine rasche Reaktion der Entscheidungsträger unter Einbeziehung von Experten. Das Verhalten der staatlichen Eisenbahn könnten sich die staatlichen Volksvertreter zum Vorbild nehmen. Was nämlich der virtuelle Raum möglich macht, funktioniert im politischen Leben offenbar nicht. Denn genau wie die klirrende Kälte gäbe auch die Bewegungsstarre der Regierung Anlass zu schnellem Handeln. Und die Zahl der Österreicher, die diese Untätigkeit nicht länger dulden wollen, wächst. Doch die Regierung ignoriert das ausdauernd kühl und schlägt mit erstaunlicher Beharrlichkeit Warnungen von Experten bezüglich der Unfinanzierbarkeit von Pensions- und Gesundheitssystem, bezüglich Schwachstellen im Bildungsbereich oder eines aufgeblähten Verwaltungsapparats, in den Wind. Wissenschafter und Manager, Rechnungshofpräsidenten und Kommentatoren artikulieren schon seit Langem: So kann’s nicht weitergehen. Denn allen abnickenden Verständnisbekundungen, allen reuigen Besserungsgelobungen zum Trotz - hören will man auf sie nicht. Medial aufgepeitschte Reformpakete entpuppen sich als enttäuschend kleine Packerl, diskutierte Reformen verkommen zu ewigen Strategiepapieren. Die überfälligen Verschärfungen bei der Korruptionsbekämpfung, Transparenzregeln für die Parteienfinanzierung oder unerlässliche Entscheidungen bei der Uni-Finanzierung blieben bisher nichts als fromme Versprechen. Ob das derzeit verhandelte Konsolidierungspaket diesen Namen verdient, ist mehr als fraglich. Was man aber jetzt schon weiß: Der Handlungsantrieb dazu kam nicht von unzufriedenen Bürgern, auch nicht von erfahrenen Experten, sondern von der Angst vor dem Downgrading durch Rating-Agenturen.

Konkurrenz auf der Überholspur

Warum werden die Stimmen der einen, auf Facebook, in Form von Unterstützungs-Klicks, gehört, während die der anderen, in Studien, Berichten und Beratungsgremien, auf taube Ohren stoßen? Vielleicht liegt es daran, dass den ÖBB zur Zeit jemand gewaltig Sporen macht. Mit Haselsteiners weiß-grün-blauer Westbahn hat der ewige Monopolist seit zwei Monaten einen starken Konkurrenten. Und, ohne der Bahn ihr soziales Verantwortungsgefühl absprechen zu wollen: 5000 unzufriedene Kunden, die das Unternehmen als unsozial empfinden, leistet man sich in so einer Situation mit Sicherheit nicht gerne. Freilich, auch die Regierungsparteien mit Konkurrenz zu kämpfen. Ungeachtet dessen gebährden sie sich allerdings immer noch wie Monopolisten. Wenn sie den blauen Schnellzug auf der Überholspur aber weiterhin ignorieren, auf den allzu realen Unmut ihrer Community nicht hören, werden sie bald nur mehr im Bummelzug hinterher tuckern.

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