Keine Zeit zu schweigen

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Österreich im Herbst: Nach dem inferioren Ergebnis von Oberösterreich steht in Wien die Wahlentscheidung an. Der Rechtspopulismus weitet sich zum Flächenbrand aus.

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Österreich im Herbst: Nach dem inferioren Ergebnis von Oberösterreich steht in Wien die Wahlentscheidung an. Der Rechtspopulismus weitet sich zum Flächenbrand aus.

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Als "Anzeichen für einen Epochenwandel" charakterisierte Christoph Schönborn die Flüchtlingskrise: "Alles entscheidet sich daran, ob wir die persönliche Begegnung wagen oder ihr ausweichen", so der Kardinal bei seinem 20-jährigen Amtsjubiläum als Wiener Erzbischof im Stephansdom. Auch Papst Franziskus wird nicht müde, Gleiches eindringlich und tagtäglich zu fordern.

Aber die politische Realität? Hat die überbordende Hilfsbereitschaft der letzten Wochen nur zugedeckt, was im Land wirklich los ist? Das oberösterreichische Wahlergebnis scheint zu bestätigen, was schon vor dem Sommer sichtbar wurde. Und demnächst Wien, wo der nächste Rechtsruck bevorsteht... ?

Wahlergebnisse sind das eine, auch der unaufgebbare Grundsatz der Demokratie, dass die Wähler ein letztes Wort haben. Aber das bedeutet längst nicht, dass man nun schweigen darf - oder sich mit sicher nicht falschen Analysen abfindet, dass die Politik generell zu abgehoben sei, dass die Verdrossenheit darüber die Menschen zu den rechten Politik-Angeboten ziehen lässt.

Es wäre bloß larmoyant, sich von der Entwicklung den Mund verbieten zu lassen. Im Gegenteil, es ist keine Zeit mehr, zu schweigen, Klartext ist angesagt. "Unterscheidung der Geister" - diese Parole hat vor 500 Jahren Ignatius, der Gründer des Jesuitenordens, ausgerufen. Heute geht es genau darum - eine genuin "christliche" Aufgabe, eine der wichtigsten angesichts der vorgeblichen Abendlandsrettung von rechts.

Was ist so christlich an den politischen Kriegsgewinnlern?

Denn gerade ob der Klage, das Christentum sei etwa vom Islam so bedroht, sollte man genau darauf schauen, was an den derzeitigen politischen Kriegsgewinnlern denn so christlich ist. Dabei sind auch die theoretischen Grundlagen der Neuen Rechten in den Blick zu nehmen. Seit mehr als 20 Jahren weist der Innsbrucker katholische Dogmatiker Józef Niewiadomski darauf hin, dass etwa Alain de Benoist, der Philosoph der Neuen Rechten, die Menschenwürde und die Menschenrechte als "jüdisch-christlichen Mythos" und als "Aberglauben" abtut.

Aus dieser Denkschule kommen auch Kampfwörter wie "politisch korrekt" oder "Gutmensch" - die längst gegen jede Anmutung eines "mitleidenden" Zugangs auf die Welt und den Menschen geschleudert werden. Niewiadomski benennt dies als "neues Heidentum", also als das Gegenteil des Christlichen, dessen Rettung auch Heinz-Christian Strache so am Herzen liegt.

Eine verschlafene Auseinandersetzung

Diese Auseinandersetzung wurde - gerade von den Christen - verschlafen. Sie ist nicht schnell nachzuholen. Was aber ist ad hoc zu tun? Eine Politik, die christlich grundiert ist, braucht da unbedingt Vorbilder, Role Models, die diesen Diskurs auch einer Klientel vermitteln kann, die ins heidnische Lager driftet. Kardinal Schönborn müht sich redlich darum - wahrscheinlich haftet ihm aber längst das Odium des "schwächlichen Gutmenschen" an. Eine der wenigen innovativen Ideen der Regierung war da die Bestellung von Christian Konrad zum Flüchtlingsbeauftragten: Das, was dieser als "graue Politik-Eminenz" Punzierte bislang an zupackender Tatkraft zeigte und äußerte, lässt hoffen.

Und es bedarf weiterer klarer Standpunkte -etwa aus dem Bereich der Wirtschaft. In Deutschland ließ da Anfang September Porsche-Chef Matthias Müller (seit ein paar Tagen bekanntlich der Boss von VW) mit der klaren Ansage aufhorchen, es sei an der Zeit, "dass Wirtschaftslenker zu bestimmten Dingen ihre Meinung sagen. Wir müssen uns dem Extremismus entgegenstellen und Haltung zeigen." (© Süddeutsche Zeitung)

Müller bezog sich auf die Anschläge gegen Flüchtlingsheime in Deutschland. Hierzulande brennen bis dato - Gottseidank - keine Zufluchtshäuser. Aber der Zulauf zu den Rechtspopulisten erfolgt in Scharen. Und der weitet sich zum Flächenbrand aus. Viel zu wenige erheben ihre Stimme dazu.

otto.friedrich@furche.at

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