Stadtforscher Peter Payer: „Großstadt ist ständiges Lernen“
Corona hat die Diskussion über ein anderes Nutzungsverhalten des öffentlichen Raums und der Mobilität in Wien angestoßen, sagt Stadtforscher Peter Payer. Klimawandel und Migration werden aber das Stadtleben nachhaltiger prägen.
Corona hat die Diskussion über ein anderes Nutzungsverhalten des öffentlichen Raums und der Mobilität in Wien angestoßen, sagt Stadtforscher Peter Payer. Klimawandel und Migration werden aber das Stadtleben nachhaltiger prägen.
Peter Payer ist Historiker, Stadtforscher und Kurator im Technischen Museum Wien. Die Mariahilfer Straße nennt er als Beispiel, wie Anpassung und Rücksichtnahme im städtischen Raum gelingen können. Welchen großen Spagat ein Bürgermeister von Wien schaffen muss, erklärt er ebenfalls in FURCHE-Gespräch.
DIE FURCHE: Herr Payer, Sie haben ein Buch zum „Klang der Großstadt“ geschrieben.Covid-19 hat Wien kurz zum Schweigen gebracht. Viele haben das als Wert empfunden – wird diese Wertschätzung der Stille in der Stadt bleiben?
Peter Payer: Die Stadt in dieser Geräuscharmut zu erleben, war eine absolute Einmaligkeit. Wien war im Lockdown so leise wie noch nie. Durch diese unglaubliche Reduktion sind wir nicht mehr vom Lärm-Einheitsbrei zugedeckt worden, sondern haben auch die Details anderer Stadtgeräusche gehört. Aber das ist schon wieder Geschichte, jetzt sind wir wieder dort, wo wir vorher waren. Vielleicht ist es sogar lauter als früher, weil der Individualverkehr zugenommen hat. Für eine nachhaltige Veränderung war dieses Eintauchen in die Stille zu kurz.
DIE FURCHE: Gilt das auch für durch Corona initiierte Verkehrslösungen wie Pop-up-Radwege oder temporäre Begegnungszonen?
Payer: Ob diese Versuche einer anderen Flächenaufteilung der Startschuss für eine Neugestaltung und ein anderes Nutzungsverhalten des öffentlichen Raums sein werden, steht noch in den Sternen, wird aber in jedem Fall von heftigen Diskussionen begleitet werden.
DIE FURCHE: Im Gegensatz zu den anderen Bundesländern ist der Motorisierungsgrad in Wien in den letzten zehn Jahren nicht gestiegen, sondern sogar zurückgegangen.
Payer: Die Widerstände, sich von den Autos zumindest teilweise zu lösen und je nach Erfordernissen einen Mix aus Fortbewegungsmitteln zu nützen, sind immer noch groß. Das wird sich erst langsam und mit einer neuen Generation an Stadtbewohnern ändern, die schon teilweise ohne Auto aufwächst. Grundsätzlich geht aber der Trend in Großstädten in diese Richtung. Im internationalen Vergleich steht Wien aufgrund seines hohen Anteils an öffentlichem Verkehr sehr gut da. Wien ist zudem in den letzten Jahren stark gewachsen, erreicht bald die Zwei-Millionen- Grenze, der Platz jedoch ist begrenzt. Corona kann hier ein Umdenken angestoßen haben. Letztlich muss sich aber die Politik ernsthafte Maßnahmen zur Veränderung der Stadtmobilität trauen.
DIE FURCHE: Eine damals umstrittene, heute breit akzeptierte Maßnahme war die Umwidmung der Mariahilfer Straße in eine Begegnungszone – wie bewertet das der Stadthistoriker?
Payer: Er sieht das als gutes Beispiel, wie wir als Stadtbewohner lernen, dass alles ein Prozess ist. Von der Mariahilfer Straße haben wir gelernt, uns gegenseitig anzupassen, aufeinander Rücksicht zu nehmen und das Konzept Begegnungszone in unser großstädtisches Mobilitätsverhalten zu integrieren. Das Prozesshafte der Großstadt betrifft genauso das Soziale, den Umgang mit dem Fremden, auch da erleben wir einen ständigen Gewöhnungs-, Anpassungs-, Adaptierungsprozess auf beiden Seiten – sowohl bei Zuwanderern als auch bei Einheimischen.
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„Der Komplexitätsgrad von Wien ist nicht vergleichbar mit denen der Bundesländer. Das Managen von zwei Millionen Menschen auf so dichtem Raum ist etwas Besonderes.“
DIE FURCHE: Wien kennt Migration in großem Stil bereits aus den Zeiten der Monarchie – was ließe sich aus dieser Zeit lernen?
Payer: Es ist ein Mythos, dass das Wien der Jahrhundertwende ein friedlicher Schmelztiegel war. Antisemitismus und ethnische Konflikte sind ja nicht zufällig in dieser Zeit radikal gestiegen. Was wir lernen können, ist, dass es auch in der Migrationsthematik ein ständiges Auf und Ab gibt. Dazu kommt die Instrumentalisierung der ethnischen Frage für politische Zwecke, beginnend mit den Türkenbelagerungen von Wien. Das ist zwar alles weit weg, spielt aber noch immer eine Rolle.
DIE FURCHE: In Wahlkämpfen ist nichts so weit weg, dass es nicht wieder thematisiert werden könnte – siehe die FPÖ-Plakate mit dem Stephansdom und der Islam-Gefahr.
Payer: An diese stereotypen Bilder wird im Guten wie im Bösen angedockt. Eine derartig radikale Bildsprache, wie sie in diesem Wahlkampf von der FPÖ plakatiert wird, gab es aber meiner Erinnerung nach im öffentlichen Raum noch nie. Großstädter zu sein, hei.t im Gegensatz dazu, permanent voneinander zu lernen, sich immer wieder auf neue Begegnungen einzustellen, damit umgehen zu lernen, sich nicht bedroht zu fühlen, sondern diese Veränderungen in ein positives Momentum umzudeuten. So ist New York zur Inkarnation der modernen Metropole geworden. Vor dieser Aufgabe, Veränderung und Vielfalt positiv zu nützen, stehen Großstädter permanent.
DIE FURCHE: Apropos Veränderung – wie wird der Klimawandel Wien verändern?
Payer: Großstädte haben generell eher ein trockenes Klima und leiden aufgrund der Bebauungsdichte und Versiegelung des Bodens an Überhitzung. Dem wird sich auch Wien nicht entziehen können. Die Bemühungen, mehr Grün, mehr Schatten, mehr „coole Straßen“ in die Stadt zu bringen, sind alle wichtig, das kann und soll man forcieren. Doch wenn der Klimatrend so weitergeht, müssen wir uns auch in Wien darauf einstellen, an Lebensqualität zu verlieren.
DIE FURCHE: Wird dadurch die Stadtflucht zunehmen?
Payer: Die hat schon vorher begonnen und durch Corona noch eine Verstärkung erfahren, die wohl bleiben wird. Auch aufgrund der neuen IT-Technologien, mit denen man vom Land aus arbeiten kann. Wien wird sich noch weiter ins Umland ausdehnen.
DIE FURCHE: Wie beschreibt der Stadtforscher angesichts dieser Herausforderungen den/ die ideale/n Bürgermeister/in?
Payer: Der Komplexitätsgrad von Wien ist nicht vergleichbar mit denen der Bundesländer. Man muss hier auf vielen Feldern firm sein, um diese Anforderungen rein vom Organisatorischen her bewältigen zu können. Das Managen von zwei Millionen Menschen auf so dichtem Raum ist etwas Besonderes. Vor dieser Anforderung steht kein anderes Bundesland.
DIE FURCHE: Sie zeichnen den Wiener Bürgermeister als Top-Manager einer komplexen Einheit, in der öffentlichen Wahrnehmung überwiegt eher das Bild eines geselligen Polit-Fiakers im Rathaus – wie passt das zusammen?
Payer: Als Volksbürgermeister braucht man Professionalität und Jovialität zugleich. Es nützt nichts, nur gescheit zu sein. Bei einem Wiener Bürgermeister muss auch diese Menschenverbundenheit zum Ausdruck kommen.
Der Autor ist freier Journalist.
Peter Payer
Peter Payer ist Historiker, Stadtforscher und Kurator im Technischen Museum Wien.
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