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Zurück ins Wohnungsamt
Der Schweizer Bund soll durch einen Verfassungsartikel dazu ermächtigt werden, Maßnahmen zu treffen, „damit Familien und Einzelpersonen sich eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohnung beschaffen können, deren Mietzins oder Kosten ihre finanzielle Leistungsfähigkeit nicht übersteigen“. So lautet der Kernsatz eines Volksbegehrens, über das die Schweizer Bürger am 27. September zu entscheiden haben.
Der Schweizer Bund soll durch einen Verfassungsartikel dazu ermächtigt werden, Maßnahmen zu treffen, „damit Familien und Einzelpersonen sich eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohnung beschaffen können, deren Mietzins oder Kosten ihre finanzielle Leistungsfähigkeit nicht übersteigen“. So lautet der Kernsatz eines Volksbegehrens, über das die Schweizer Bürger am 27. September zu entscheiden haben.
Bund und Kantone haben vorweg die Initiative als untaugliches Mittel, den offenkundigen Bedarf an neuen Wohnungen zu decken, abgelehnt. Die Parteien haben sich, abgesehen von der sozialistischen und ihren weiter links stehenden Mitläufern, diesem Verdikt angeschlossen. Auf den ersten Blick scheint das Begehren der Initianten ebenso unsinnig wie berechtigt zu sein. Unsinnig: Im europäischen Maßstab gesehen, wird in der Schweiz nicht nur quantitäts-, sondern auch qualitätsmäßig enorm gebaut. 60.000 Wohnungen im Jahr, wie es letzthin der Fall war, sind bei einem Einwohnerbestand von sechs Millionen ein Zugang, den weder die Bundesrepublik noch Frankreich, Österreich oder die Beneluxstaaten zu verzeichnen haben. Die Ausstattung der Wohnungen läßt gleichfalls kaum Wünsche offen; selbst dort, wo — wie in etwa 25 Prozent der Neubauten — öffentliche Gelder mitverwendet werden und den Mietzins erheblich senken, sind eingerichtete Küchen, Parkplätze und Waschmaschinen selbstverständlich.
Aber auch die Berechtigung der Initiative drängt sich auf, sieht man auf die Preisentwicklung für Grundstücke und Häuser. Es ist nicht von ungefähr, daß die Initianten In erster Linie aus der Westschweiz stammen. Dort, vor allem an den Ufern der großen Seen, sind Tausende von luxuriösen Zweitwohnungen für Ausländer gebaut worden, deren Preis oder Mietzins kein normaler Sterblicher bezahlen kann. Auch der Ballungsraum Zürich, nächst Genf das zweitteuerste Pflaster der Schweiz, bietet immer mehr Wohnungen normaler Größe, also drei bis fünf Zimmer, zwischen 600 und 800 Franken an. Der höhere Verdienst wird durch diese Mietzinse radikal abgeschöpft. Erstaunlich preiswert ist demgegenüber etwa der Tessin, wo selbst komfortabelste Wohnungen zwischen 300 und 500 Franken zu haben sind. Die Entscheidung wird dem Stimmbürger also nicht leichtgemacht, zumal die Atmosphäre wieder einmal, wie bei der Initiative Schwarzenbach, stark emotional aufgeheizt wird.
Sicher ist, daß der Staat, im Fall der Schweiz also die Bundesregierung in Bern, das lästigste und undankbarste Amt übernähme, würde die Initiative Erfolg haben. Wer welche Wohnung zu welchem Preis und zu welchem Zeitpunkt, bei welcher Familiengröße und welchem Einkommen haben darf, müßten dann die Wohnungsämter — unseligen Angedenkens — fortan zu regeln haben.
So ist ganz offenbar der Entschluß der Bundesregierung zu begrüßen, ähnlich wie im Fall Schwarzenbach, die Initiative durch großzügige Förderumg der Baulanderschließung, Bereitstellung von Mitteln für Mietzinsreduktionen und eine umfassende Raumplanung gleichsam zu unterwandern. Die weittragenden Entschlüsse wurden kürzlich auf einer Pressekonferenz in Bern erläutert und hinterlassen den Eindruck, daß hier mit marktkonformen Mitteln, ohne Einschränkung der persönlichen Freiheiten und unter nachdrücklicher Zurückweisung hier und da zutage tretender Ausbeutung, gangbare Wege gewiesen werden. Größere Investitionen, Hergabe von öffentlichem Grund und Boden, Zinserleichterungen, ohne, wie im Fall des „Rechts auf Wohnung“, enorme Steueranhebungen nötig zu machen. Als Sofortmaßnahme wurde eine Erhöhung des Kreditplafonds von gegenwärtig 600 Millionen jährlich auf eine Milliarde beschlossen, damit wegen der Kapitalverknappung, die ihrerseits wiederum eine Folge des höheren Diskontsatzes ist, keine Produktions-lücke im sozialen Wohnungsbau entstehe.
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