Eine hässliche neue Welt

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Wenn die Fantasien des technischen Fortschritts wahr werden, wird sich die Welt der Arbeit dramatisch ändern - und das hat auch durchaus bedrohliche Seiten.

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Wenn die Fantasien des technischen Fortschritts wahr werden, wird sich die Welt der Arbeit dramatisch ändern - und das hat auch durchaus bedrohliche Seiten.

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Wir haben uns in diesem Schwerpunkt zumeist mit den Vorteilen und Möglichkeiten jener Erfindungen beschäftigt, die in der Sprache der Ökonomen die Dritte industrielle Revolution genannt werden - und hier vor allem die 3D-Technologie. Auf dieser letzten Seite soll es nun auch um die Risiken gehen, die die schöne neue Welt auslösen könnte. Denn tatsächlich wird 3D die Welt der Produktion und der Wirtschaft, wie wir sie heute kennen, in einer Weise beeinflussen und die Arbeitswelt fragmentieren und zum Teil zerstören.

Das sagt nicht irgendwer, sondern das sagen der Ökonom Nouriel Roubini, der Arbeitsexperte David Seligson oder Chuck Hull, der das Additive Manufacturing für das Baugewerbe erfand. Und diese Experten sind bei weitem nicht die Einzigen, die sich Sorgen machen.

Betrachtet man es aus der pessimistischen Perspektive, kann man sich nicht früh genug mit den Folgen dieser Revolution auseinandersetzen, an deren Ende ein vollkommenes Umdenken oder gewaltsame Eruptionen zerfallender Gesellschaften stehen werden müssen.

Der Staub der Zukunft

Der 3D-Drucker ist tatsächlich die Vorhut dieser Revolution. Technisch betrachtet ist er ja einfach nur ein Gerät, das eine zu Staub vermahlene Substanz, ob Kunststoff, Keramik, Glas, Metall, Zellgewebe oder andere Materialien wieder einschmilzt und in feinen Schichten zu einem neuen Gegenstand oder Organ verbindet, je nach Wunsch. Technisch gesehen bedeutet das aber das flexibelste und dezentralste Produktionsmittel der industrialisierten Welt. Alles, was benötigt wird, sind die Maschine am Ort der Produktion und die entsprechenden Pulver.

Dieses zusammensetzende additive Verfahren ist so faszinierend, weil auf diese Weise beispielsweise Häuser oder Teile von Häusern produziert werden können, ohne dabei Rückstände und Müll zu hinterlassen, die entstehen, wenn Formen aus Material gebrochen, gesägt oder gefeilt werden müssen. Die ersten Autos und Fahrräder aus dem 3D-Drucker (Bild rechts) sehen zwar noch sehr ungeschlacht aus, doch sie erfüllen bereits alle funktionellen Anforderungen. Aus dieser Spielerei könnte schnell ein sehr lukrativer industrieller Ernst werden.

Derzeit setzt der 3D-Markt weltweit rund drei Milliarden Dollar pro Jahr um. Nach einer Studie des Technologie-Thinktanks McKinsey Global Institute könnten es schon in zehn Jahren 550 Milliarden Dollar sein - also das 180-fache.

Das ist umso wahrscheinlicher, als die großen Druckerkonzerne, etwa Hewlett Packard in die neue Druckerwelt einsteigen und sich davon eine "große Gelegenheit versprechen", wie kürzlich die Chefin von Hewlett Packard, Meg Whitman, ankündigte. 3D-Drucker selbst, die heute zwischen 300 und 2000 Euro kosten, sind also auf den ersten Blick kostensenkend, arbeitssparend und technologisch wertvoller.

Steigende Disparitäten

Wenn nun aber alles, von der Smartphonehülle bis zum Kamerastativ, vom Bauziegel bis zu kompliziertesten organischen Strukturen, wie menschlichen Zellen, vervielfältigbar ist, dann wird sich das Arbeitsleben radikal ändern. Denn wo heute noch Millionen Menschen beschäftigt sind, etwa in der Bau- und Automobilindustrie, bei Speditionen und im Transportgewerbe, werden dann viel weniger Arbeitskräfte gebraucht werden. Die Wertschöpfung auf weniger komplexen Produktionsebenen, etwa bei der Herstellung von Industriewaren, wird, so meint Ökonom Roubini ,von Maschinen übernommen werden, mit ausgereiften Druckern und der nötigen Software.

Schon jetzt verläuft die Produktion von Prototypen in der Industrie dank des 3D-Verfahrens wesentlich schneller und billiger, weil nicht für jede Weiterentwicklung neue kleine und sehr teure Fertigungsanordnungen gebaut werden müssen. Für den Fortschritt in der Entwicklung neuer Produkte bedeutet das eine drastischen Beschleunigung.

Doch der Preis dafür wird hoch sein. Denn wie bei jedem technologischen Schub, werden jene davon profitieren, die das meiste Kapital haben. Jene Konzerne, die schon jetzt die größten Entwicklungsabteilungen unterhalten, wie etwa IBM oder Apple.

Der Reichtum, der aus dieser Entwicklung entsteht, könnte immens sein, aber eben nur für jene, die die Entwicklung mit ihrem Kapital vorantreiben. Die Einkommensschere würde sich hingegen weiter öffnen, weil im unteren und mittleren Einkommenssegment die neuen Maschinen Arbeitsplätze ersetzen. 3D-Drucker werden Arbeiter und Facharbeiter ersetzen, Gießer, Dreher, Werkzeughersteller, Baustoffproduzenten und Teile der KfZ-Fertigung. "Wir werden in Zukunft Fabriken haben, in denen ein einziger Mensch ein paar hundert Maschinen steuert", ist Roubini überzeugt.

Arbeitsexperten in Europa meinen zwar, dass Arbeitsplätze in der Fertigungsindustrie, die von Europa aus Kostengründen nach Asien ausgelagert wurden, wieder nach Europa zurückkehren werden. Aber was bedeutet das? Das ist gut für die Produzenten, aber schlecht für die asiatischen Arbeiter, die ihren Job verlieren und unerheblich für die europäischen Arbeiter, weil sie ja weiterhin nicht gebraucht werden. Fügt man diesem Szenario nun noch die Erleichterungen des Arbeitslebens durch die Robotik hinzu, wie auf Seite 3 beschrieben, dann wird sich die Tendenz zu schrumpfender Arbeit weiter verschärfen. Für einer der Arbeit verschriebenen Gesellschaft könnte das verheerend sein. Das Sozialsystem und die Politik werden auf harte Proben gestellt, wenn die meisten Menschen aus dem Produktionsprozess ausgeschieden werden und die Aufrechterhaltung des Betriebes auf wenige Überbeschäftigte verteilt ist.

Der Ökonom Joseph A. Schumpeter hat eine solche Entwicklung in seiner Vergleichsstudie über Kapitalismus und Sozialismus vorhergesagt. Bei ihm führt die Reduktion der Arbeit und die vermehrte Ungleichverteilung zum Sozialismus, weil nach seiner Sicht der Kapitalismus implodieren würde. Schumpeter schrieb das vor mehr als hundert Jahren. In hundert Jahren könnte dieser Befund aktueller sein denn je.

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