Jeder, der sich im jüdisch-christlichen Dialog engagiert, weiß, dass es da für Christen unabdingbare Voraussetzungen gibt, ohne die ein Gespräch zwischen den beiden Religionen zu Ende ist, bevor es überhaupt begonnen hat. Dazu gehört neben dem Bekenntnis zur christlichen Schuldgeschichte gegenüber den Juden, die jedenfalls den Boden bereitet für die Schoa, die Judenvernichtung durch das NS-Regime, auch die für Juden als unumkehrbare erkennbare Bejahung des Staates Israel.
Auch die bedeutendste jüdische Stellungnahme zum Verhältnis mit den Christen, die im Jahr 2000 unter dem Titel "Dabru emet - Sagt die Wahrheit" vor allem von US-amerikanischen jüdischen Gelehrten unterzeichnet wurde, stellt fest: "Christen können den Anspruch des jüdischen Volkes auf das Land Israel respektieren. Für Juden stellt die Wiedererrichtung eines jüdischen Staates im gelobten Land das bedeutendste Ereignis seit dem Holocaust dar."
Solche Voraussetzungen für ein Gespräch werden angesichts der Ereignisse im Gazastreifen zu einer großen Herausforderung: Wie sollen Christen angemessen Solidarität zeigen und vor allem für die Schwachen und Schwächsten in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen votieren?
Faktum ist, dass es - nach derzeitigem Wissensstand - für Christen in Europa keine eindeutigen Antworten gibt. Vor einigen Monaten haben anlässlich "60 Jahre Staat Israel" die beiden evangelischen Kirchen Österreichs eine gemeinsame Stellungnahme herausgebracht, in der neben der "Mitfreude" über die Staatsgründung Israels auch die Betroffenheit darüber angesprochen wird, dass ebendiese Staatsgründung für andere "zu Entwurzelung und Vertreibung" geführt hat.
Christliche Solidarität mit den eigenen Glaubensgeschwistern in der Region führt vordergründig zur palästinensischen Seite, obwohl dort - wie in der arabischen Welt ringsum - die Christen eine schwindende Minderheit sind.
Nicht beschönigte Ratlosigkeit
Von Christen im muslimisch-christlichen Dialog wird von muslimischer Seite zu Recht erwartet, die Ungerechtigkeit gegenüber den zivilen Opfern in Gaza anzuprangern. Das soll und muss geschehen: Die Zahl der Toten spricht eine beredte Sprache.
Doch wie kann das Eintreten für die Opfer geschehen, ohne nachhaltig in den begleitenden Propagandakrieg verwickelt zu werden? Kein Wunder, dass die Stimmen der Christen zurzeit leise sind.
Vielleicht wäre es die beste Idee, Friedensinitiativen hüben wie drüben zu unterstützen, die es im Nahostkonflikt wie in kaum einem anderen Krisenherd der Welt gibt.
Friede und Gerechtigkeit in Nahost zu erreichen, ist Sisyphusarbeit. Worte scheinen zurzeit nichts auszurichten. Vielleicht ist es die Zeit von - kleinen - Taten. Und vielleicht ist es die Zeit, die eigene Ratlosigkeit nicht zu beschönigen.
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