Freisetzen, nicht festschreiben

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Kritische Anmerkungen zu Annäherungen der Theologen an die Literatur.

Theologinnen und Theologen müssten eigentlich eine Affinität zur Literatur haben, sagte mir unlängst ein Lyriker in einem Gespräch über Theologen und Germanisten. Theoretisch hat er Recht. Wenn man sich so umhört, bekommt man aber eher den Eindruck, dass sie in der Praxis lieber Handbücher lesen. Wenn überhaupt. Auch in theologischen Veröffentlichungen spielt Literatur noch viel zu selten eine Rolle. Dabei würde Literatur so viel erzählen: von der Welt, in der schließlich auch die Theologen leben, von Menschen und ihren Erfahrungen und wie sie damit umgehen, von den Möglichkeiten, von denen es sich angesichts einer verunsichernden Wirklichkeit auch träumen lässt, von den Wünschen, die man ausleben kann, indem man beim Lesen in andere Rollen schlüpft. Und was lernten sie erst aus der Sprache, diesem kostbaren Gut, ohne das Theologen über ihren Gott (theos) nicht einmal stammeln könnten und ohne das sie keine -logen wären: Poesie und Narration sind mehr als ein bloßes Korrektiv zu wissenschaftlicher oder pseudowissenschaftlicher Dogmatik - sie sind Formen der Glaubensvermittlung, die nicht festschreiben, sondern freisetzen. Nachzulesen in den biblischen Texten.

Blick auf Inhalte

Ein Blick auf die Publikationen des letzten Jahrhunderts, hervorgegangen aus der Beschäftigung von einzelnen Theologinnen und Theologen mit Literatur, zeigt, dass inhaltliche Fragestellungen die formalen bei weitem übertrafen. Erst in den letzten Jahren hat das Interesse an einer formalen Beschäftigung, auch an einer Reflexion des Phänomens "Literatur" zugenommen. Wie der Germanist Wolfgang Wiesmüller in einem Workshop auf einem internationalen Kongress darlegte (siehe Literaturangabe am Ende des Beitrages), ist Gebetslyrik als interdisziplinäres Betätigungsfeld besonders interessant, zeigt sie doch die höchst unterschiedlichen Zugangsweisen und Interessenslagen von Theologen und Literaturwissenschaftlern. Die Theologie nämlich kümmert sich zwar um religionswissenschaftliche, biblische, kirchengeschichtliche, dogmatische und moraltheologische Aspekte des Gebets, nicht aber um poetisch-linguistische - diese Aufgabe überlässt sie der Literaturwissenschaft. Diese ordnet das Gebet der Gebrauchsliteratur (um die sie sich oft auch wenig kümmert) zu oder aber definiert es als Kunstform, als Subgattung der Lyrik. Die Literaturwissenschaft scheint also um ästhetische Fragen bemüht, die Theologie aber nur um praktische.

Poetische Gebete

Mit praktischen Fragen hängt das Gebet auch zusammen, Kontext und Rezeptionssituationen entscheiden über die Zuordnung: es gibt Gebete, die für den Glaubensvollzug bestimmt sind, und poetische Gebete, die primär als Dichtung konzipiert sind - für die aber auch eine religiöse Disposition vonnöten ist. Diese ist aber wohl kaum von der Literaturwissenschaft feststellbar.

Literaturwissenschaftler andererseits stellen an vielen Gebrauchstexten aus dem Bereich "Gebet" mangelnde Ästhetik, ja sogar Kitsch fest. Den Theologen scheint dieser Kitsch egal zu sein, die geeignete Anwendung eines Gebetes wichtiger als die ästhetische Hochwertigkeit. Beschäftigen sich Theologen überhaupt mit Fragen literarischer Wertung? Etwa mit der Frage, was ein in ästhetischer Hinsicht schlechter Text (der ja durchaus in der pastoralen Praxis eingesetzt wird) für den Glaubensvollzug bedeutet?

Seit mehr als zwanzig Jahren suchen jene Theologinnen und Theologen, die von der Bedeutung der Literatur überzeugt sind, in literarischen Werken nach Anregungen für ihre Disziplin. Inzwischen gibt es auch einige Studien über die Literatur der Moderne, weit weniger Theologen aber sind bis jetzt in der Gegenwartsliteratur angekommen. Brauchen sie das Beruhigende des Kanons, um zu wissen, welche Literatur es wert ist, betrachtet zu werden? Trauen sie sich nicht zu, sich auf das Neue einzulassen, obwohl doch Literatur, wie sie selbst sagen, seismografische Funktion hat? Um diese Funktion zu "nutzen", müssten sie freilich auch in der Gegenwart nachschlagen, nicht nur in Werken des vergangenen Jahrhunderts. Patrick Roth ist eine der großen Ausnahmen, mit seinem Werk beschäftigen sich Theologen gerne, scheint er ihnen doch am Silbertablett biblische Stoffe fein aufbereitet zu reichen. Gerade die Texte dieses Schriftstellers machen aber auch die Schwierigkeit deutlich, mit der Theologen konfrontiert sind und sich im besten Fall auch konfrontiert sehen: ist er doch mit christlichen Stoffen unterwegs, aber ob seine "Botschaft" das ist, was Theologen hören wollen - wer weiß.

Als Lehrbücher eignen sich literarische Texte zum Glück nicht. Wenn Schriftsteller zu Katecheten werden, wird's rasch peinlich. Darum ist auch die von manchen Theologen leider ab und zu geübte Unsitte, den Literaten zu sagen, ob sie biblische Quellen falsch oder richtig verstanden haben, fehl am Platz. Literatur ist Literatur. Und dient nicht dazu, kirchliche Wahrheiten oder lehramtsgerechte Interpretationen zu verkünden. Wer das nicht ernst nimmt, kann in keinen offenen Dialog mit Texten eintreten und wird daher auch nicht viel neu erlesen, erlernen.

Lesen ist gefragt

Lesen ist also gefragt. Lesen, ja lesen müssten Theologen eigentlich können, würde jetzt der Lyriker wohl sagen, der eine Affinität der Theologen zur Literatur vermutet. Und zum Lesen gehört wie auch zum Lernen: sich provozieren lassen von Anderem, Neuem. Andernfalls würde es am Ende heißen müssen, und damit wandle ich provokant Verse von Erich Fried um: "In allen Büchern habe ich meine Theologie gelesen und nichts als sie."

Die Autorin veröffentlichte zahlreiche Beiträge zum Thema, zuletzt: Religion im Werk deutschsprachiger Autorinnen und Autoren II. Offene Fragen rund ums Thema "Religion und Literatur". In: Erich Garhammer, Georg

Langenhorst (Hg.): Schreiben ist Totenerweckung. Theologie und Literatur. Echter Verlag, Würzburg 2005. S 139-144

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