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Konzil in Chronik und Deutung

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Je näher der Termin der bevorstehenden Allgemeinen Kirchenversammlung rückt, desto stärker erwacht auch das Interesse der christlichen und außerchristlichen „Allgemeinheit“, sich mit den vorangegangenen zwanzig als ökumenisch anerkannten Konzilen der Vergangenheit wenigstens in den Gründzügen vertraut zu machen. Die großen wissenschaftlichen Konzilsgeschichten Hefeies und Hergen-röthers sind dem Laien kaum zugänglich. Ob im Laufe der nächsten Jahre ein neues Standardwerk, das die Probleme vielleicht unter anderem Gesichtspunkt — gleichsam ex eventu — zu sehen hätte, entstehen wird, ist noch fraglich. Konziliengeschichte im Vollsinn des Wortes kann ja nur ein wahrhaftes Universalgenie schreiben. Denn sie müßte den profanhistorischen, papstgeschichtlichen, aber auch den dogmengenetischen Elementen, der Kulturgeschichte wie auch der Rechtshistorie zugleich gerecht werden, müßte Chronik und Analyse in einem bieten. Man stelle sich nur vor, was es für einen einzigen Autor bedeuten müßte, die späthellenistischen Theologenstreitigkeiten der ersten christlichen Jahrhunderte, die komplizierten Fürsteneifersüchteleien von Konstanz und Basel wie auch die inner-kirchlichen Probleme des 19. Jahrhunderts in gleicher Weise zu beherrschen. Schon in der Phantasie schwillt ein solches Werk auf eine lexikalische Bandzahl an ... Und dann steht man plötzlich vor einem kleinen Wunder: Die Herder-Bücherei legt ein Taschenbändchen (Nr. 51) unter dem anspruchslosen Titel „KLEINE KONZILIENGESCHICHTE“ vor, das knappe 140 Seiten (einschließlich Quellenhinweis und Zeittafel) umfaßt und in wahrhaft vollendeter Knappheit und Klarheit den Wesenskern alles dessen bietet, was eine große Konziliengeschichte auch kaum anders sagen könnte. Hubert J e d i n, der dieses Meisterstück, das nur der ganz würdigen kann, der schon einmal vor der Fülle des Stoffes auch nur auf einem Teilgebiet verzagte, hat der katholischen Welt ja bereits seit Jahren und Jahrzehnten bewiesen, daß er die „große Form“ ebenfalls zu beherrschen versteht, das Taschenbuch für ihn also keinesfalls eine Begrenzung eigenen Wissens bedeutet. Aber all das, was seine bisherigen Bände über das Tridentinum auszeichnet: die Gabe, nach den kompliziertesten Detailuntersuchungen doch immer wieder den roten Faden des Wesentlichen zu finden, dient hier einem noch viel universaleren Zweck. Es ist ihm wirklich gelungen, die Kirchengeschichte mit den großen Etappen der Geistesgeschichte in einen synchronen Zusammenhang zu bringen, so daß die Konzile als Wendepunkte nicht nur des rein kirchlichen Lebens, sondern auch der gesamten Gesellschaft erscheinen. Besonders ausführlich sind verständlicherweise das Tridentinum und das Vatikanum behandelt. Das eigentliche Meisterstück erscheint uns aber die ebenso gründliche wie farbig-einprägsame Darstellung des Konzils von Konstanz zu sein. Hier wird wirkliche Weltgeschichte im feurig-flüssigen Entstehungsprozeß gezeigt.

In ganz anderer Weise geht die Schweizer Historikerin Theodora von der M ü h 11 an die Behandlung ihres Themas, des Basler Konzils, das sie mit Recht „VORSPIEL ZUR ZEITENWENDE“ nennt. Wenn man aus einem Basler Patriziergeschlecht stammt und noch dazu Geschichte schreibt, dann erscheint es fast zwangsläufig, ein wenig beim großen Jacob Burckhardt gelernt zu haben. Die breite, chronistische, pastose Manier hat die Autorin dem Altmeister, nachgebildet. In der Brillanz und Lucidität des Stils ist sie vom großen Vorbild allerdings sehr Weft* £Äfefht;s5Die weiflKSnoTsche' rGrändeszä/ Eckhardts wird hier zur vertrackten, schwer lesbaren Altväterlichkeit, die philosophische Meditationsgabe des Meisters wird stellenweise zum beschaulichen Traktat. Dennoch erfüllt dieses Buch eine wichtige, gerade in der neueren Literatur etwas vernachlässigte Aufgabe. Das Konzil von Basel wird in der offiziellen Zählung zusammen mit seinen ordentlichen Nachfolgeversammlungen in Ferrara und Florenz registriert. Das Hauptinteresse wendet sich gerade heute viel mehr diesen in Italien geführten Unionsverhandlungen mit der Ostkirche zu. Die zu Basel weitertagende Kirchenversammlung, die ja nach der Aufstellung eines Gegenpapstes und dem offenen Bruch mit Eugen IV. als schismatisch, wenn nicht sogar wegen gewisser, im Nachhinein duTch die Bulle „Pastor aeternus“ des V. Laterankonzils verdammter Konzilstheorien als häretisch angesehen werden muß, lassen die Historiker gern „links“ liegen. Auch Jedin widmet den Basler Beratungen nur noch wenige Zeilen. Und doch hat gerade diese in einer tragischen Sackgasse endende Kirchenversammlung, die problematischeste der gesamten Geschichte, wenn man vom düsteren Konzil zu Vienne absieht, eine eminente Bedeutung für die politische Entwicklung der Neuzeit erlangt, weniger durch die Tätigkeit der Konzilsväter selbst, als durch die weltlichen Mächte, die in dieser Situation zum ersten Male die Position jenes „Neutralismus“ bezogen, der dann dem säkularisierten Territorial- und Nationalstaat eigen wurde. Von den sehr profilierten Mitspielern dieser Jahre haben einige, wie der große Cusaner und Kardinal Cesarini, welthistorische, Enea Silvio, der spätere Pius IL, und nicht zuletzt Kaiser Friedrich III., besonders für Österreich ihre Zeit weit überdauernde Bedeutung erlangt. Die Autorin behandelt die Unionsverhandlungen mit den Griechen, die sich ja nicht in Basel abspielten, nur sehr am Rande, widmet aber den parallelen profanhistorischen Ereignissen breiten und berechtigten Raum, wobei sie natürlich auch die Schweizer Lokalhistorie nicht zu kurz kommen läßt. Das eine oder andere persönliche Medaillon gelingt ihr dabei recht gut. Zu fast poetischer Plastik wird in ihrer Darstellung die Gestalt des Gegenpapstes Felix V. herausgearbeitet, jener tragisch-ritterlichen Figur eines savoyischen Herzogs und Witwers, der zum letztenmal in der Kirchengeschichte die unheilvolle Rolle eines unrechtmäßigen Tiaraträgers zu spielen gezwungen war. Man hat ihn bislang noch nirgends so ausführlich und gerecht gewürdigt gesehen. Die Basler Konzils-tbeorie^ijlie ^ja-auf ..gewisse Formulierungen von Kon'stanz“ zurückgehen, über dereri -rechtmäßiges Zu-' Standekommen man zumindest damals mit guten Argumenten auf beiden Seiten streiten konnte, haben, wie die Autorin richtig bemerkt, trotz ihrer offiziellen Zurückweisung bis zum Vatikanum ihre bedeutsame Rolle weitergespielt. Es ist anzunehmen, daß sie auch angesichts des bevorstehenden Konzils von nichtkatholischer Seite da und dort wieder zur Diskussion gestellt werden. Das im C a 11 w e y-Verlag, München, erschienene, geschmackvoll und einprägsam illustrierte Werk bietet chronistisches und einführendes Material genug.

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