Papst & Hamas-Opfer - © Divisione Produzione Fotografica /VATICAN MEDIA / AFP  - Papst Franziskus und Angehörige der Hamas-Geisln, 22.11.2023

Neue Bruchlinien im katholisch-jüdischen Dialog

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Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel steht das jüdisch-katholische Gespräch vor neuen Herausforderungen. Dialogkonferenzen können eine klare Positionierung der Kirchenspitze nicht ersetzen. Klartext tut not.

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Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel steht das jüdisch-katholische Gespräch vor neuen Herausforderungen. Dialogkonferenzen können eine klare Positionierung der Kirchenspitze nicht ersetzen. Klartext tut not.

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Zäsuren lassen sich kaum im zeitgeschichtlichen Moment feststellen, in dem sie sich vollziehen. Das gilt auch für 10/7. Der Schock, der sich mit diesem Datum verbindet, löst immer neue Wellen unfassbarer Gewalt aus, die Israel als Staat weltpolitisch zunehmend unter Druck setzen, seine Existenz bedrohen und das Leben unzähliger Palästinenser kosten. Während die Hamas weiterhin eine hohe Zahl israelischer Geiseln hält, kündigt die israelische Armee ihre Offensive in Rafah an. Der humanitären Katastrophe im Gazastreifen steht die Entschlossenheit Israels gegenüber, dass sich ein genozidaler Angriff wie jener der Hamas nicht wiederholen darf. Die Hamas behält das Drehbuch der Ereignisse so lange in der Hand, wie sie sich hinter der eigenen Bevölkerung versteckt und auf die nächste Gelegenheit wartet, jüdisches Leben zu exterminieren.

Traumata lassen sich nicht gegeneinander aufrechnen. Die Erinnerungsgeschichte des gedehnten historischen Augenblicks seit dem 7. Oktober 2023 trennt aber bereits jetzt nicht nur die unmittelbar beteiligten Kriegsparteien. Religiös begründete Gewaltfantasien finden sich auf beiden Seiten. Umso mehr bedarf es der Autorität jener Religionsgemeinschaften, die im Nahen Osten ihre Gründungsstätten haben und mit dem symbolischen Zentrum Jerusalem ein gemeinsames Interesse an religiöser Verständigung haben müssten. Doch wie sollen Religionsgespräche in diesen Zeiten Gehör finden?


Optionen auf Deeskalation nötig

Ein Erfolgsmodell dialogischer Religionskontakte stellt das jüdisch-katholische Gespräch seit dem 2. Vatikanischen Konzil dar. Die kirchliche Lehrpraxis einer heilsgeschichtlichen Ersetzung Israels durch die Kirche wurde auf die theologisch begründete Anerkennung der bleibenden Bedeutung des Judentums umgestellt. Sie führt zur Einsicht von Papst Franziskus, dass „Gott weiterhin im Volk des alten Bundes wirkt“. Gewachsene Beziehungen zwischen den Dialogpartnern haben sich unter Belastungsproben als robust erwiesen. Dass jede Option auf eine Judenmission der Vergangenheit angehört, lässt sich als unwiderruflicher katholischer Lernschritt festhalten.

Loyalitätsadressen des Papstes, wie er sie zuletzt in einem Brief an 400 jüdische Gelehrte und Rabbiner formulierte, stellen von daher mehr als rhetorische Gesten dar. Hintergrund des jüdischen Einschreibens waren indes die ambivalenten Erstreaktionen des Vatikans auf den Terrorangriff der Hamas. Bei allem Verständnis für vatikanische Diplomatie und den Einsatz des Papstes für Frieden und Humanität in Kriegszeiten fehlte den jüdischen Adressaten ein entscheidender Punkt: dass unmissverständlich benannt wird, wer angegriffen hat und wer sich verteidigt. Erst auf dieser Basis lässt sich jede weitere Frage diskutieren, auch die humanitär entscheidende, was militärisch notwendig und vertretbar ist.

Gerade weil keine einfachen Lösungen zur Verfügung stehen, braucht es Optionen auf Deeskalationen. Der Vatikan setzt darauf, findet aber nicht zu jener Anfangsklarheit, die es seit 10/7 gebraucht hätte. Dieses Momentum ist verspielt. Aber dass sich seitdem weitere Haltungsfehler häufen, wird Folgen für den jüdisch-katholischen Dialog haben.

Zum einen hat der Papst in seinem Brief vom Februar erneut nicht den barbarischen Akt der Hamas als Ausgangspunkt benannt . Zum anderen hat er den Krieg im Nahen Osten mit neuen Kriegen weltweit verrechnet. Ja, der Papst verurteilt Antisemitismus. Ja, Franziskus sieht die Kirche an der Seite des Judentums.

Das wird von jüdischer Seite gesehen und geschätzt. Aber was bedeutet dies, wenn im nächsten Augenblick Kardinal Parolin, als Staatssekretär der zweite Mann im Vatikan, das Vorgehen Israels in Gaza als „Blutbad“ bezeichnet, ohne seinerseits das Massaker der Hamas zu benennen? „Was ist jetzt eigentlich die Position des Vatikans?“, fragt Rabbiner Jehoschua Ahrens, einer der Mitverfasser des Briefes an den Papst.

Vatikan: Unsicherer Kantonist?

Die Frage hallt nach, weil sich der Ausgangspunkt der vatikanischen Einschätzung des Gazakrieges als unsicher erweist. Damit aber steht die Verlässlichkeit des katholischen Zentralpartners zur Disposition. Das stellt eine Bruchlinie im Gesprächsklima dar. Dialogformate bleiben. Aber Konferenzen zu theologischen Fragen bereiten nur vor, was religiöse Autoritäten in offiziellen Positionen zur Geltung bringen. Die hochrangigen Erklärungen aus dem orthodoxen Judentum zum jüdisch-katholischen Dialog, die seit 2015 entstanden sind, benötigten Vertrauensvorlauf seit dem letzten Konzil.

Neue Bruchlinien tun sich mit 10/7 auf: im Aufrechnen von erlittener Gewalt und den Zuschreibungen von Verantwortlichkeit. Ein Seitenblick auf die diskurs­politische Rolle der Postcolonial Studies lässt erahnen, was dies für wissenschaftliche Debatten und universitäre Auseinandersetzungen nach sich ziehen wird. In den USA zeigen sich bereits tiefgreifende Verwerfungen. Nicht zuletzt trennen Gruppenverbindungen in den verschiedenen Religionsgesprächen entlang der jeweils eigenen Involviertheit.

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