Franziskus Yad Vashem - © APA / Osservatore Romano  - Papst Franziskus gedenkt der Schoa-Opfer in Yad Vashem/Jerusalem 2014

Vatikan und Hamas-Attentat: Church first? Rom bleibt ambivalent

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Nach dem Terrorangriff auf Israel stellt sich die Frage, warum Papst Franziskus nicht unmissverständlich die Verantwortung der Hamas benennt. Zwischenruf eines Theologen, der auch Konsultor der Päpstlichen Kommission für die Beziehungen zum Judentum ist.

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Nach dem Terrorangriff auf Israel stellt sich die Frage, warum Papst Franziskus nicht unmissverständlich die Verantwortung der Hamas benennt. Zwischenruf eines Theologen, der auch Konsultor der Päpstlichen Kommission für die Beziehungen zum Judentum ist.

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Schockstarre hat Menschen weltweit am Samstagmorgen des 7. Oktobers 2023 erfasst. Erstmals seit der Schoa hat ein Pogrom stattgefunden – dazu auf israelischem Staatsgebiet. Der Terrorangriff der Hamas, 50 Jahre nach dem Jom Kippur-Krieg, trifft Israel und Juden weltweit in dem Maße, in dem mit der größten Zahl jüdischer Opfer seit dem 2. Weltkrieg an einem Tag zugleich die ganze Verletztlichkeit jüdischen Lebens vor Augen steht. Immer und jederzeit, nun aber auch in Israel selbst sind Juden mit tödlicher Gewalt konfrontiert.

Alle innenpolitischen Auseinandersetzungen treten hinter der Tatsache zurück, dass sich Israel erneut in einem Existenzkampf auf Leben und Tod befindet. Denn mit der Hisbollah an der libanesischen Grenze und dem Iran im Hintergrund wird ein Zweifrontenkrieg in dem Maße wahrscheinlicher, in dem sich Israel mit der Bodenoffensive im Gazastreifen gegen die Dauereskalation der Hamas zur Wehr setzt. Nach diesem Exzess unvorstellbar brutaler Gewalt gegen wehrlose Menschen, angesichts der Erpressung mit entführten Geiseln, im Spiegel der Bilder hingeschlachteter Kinder steht Israel vor der Herausforderung, dafür zu sorgen, dass solche Gewalt nie wieder von der Hamas ausgehen kann.

Vatikan hält sich auffällig zurück

Das schließt in der Mehrstimmigkeit israelischer Bürger das Wissen darum ein, dass die Hamas nicht mit den Palästinensern gleichzusetzen ist. Dennoch: Wer die kollektive Erfahrung jahrtausendelanger, permanenter Bedrohung jüdischen Lebens in jedem Augenblick neu machen muss, hat das Recht und die Pflicht, sich zu verteidigen. Wo die Grenzen liegen, haben die UNO und führende Regierungschefs aus der ganzen Welt betont. Aber jede Mahnung schließt verlässliche Solidarität mit Israel ein – und setzt eine eindeutige, folgenbewusste Verurteilung derjenigen voraus, die für diesen Terror verantwortlich sind. Das gilt für den Gazastreifen, den Libanon, den Iran, aber auch für die Länder, in denen Bürger ungeniert ihrer Freude über den Tod von Juden Ausdruck verleihen.

Vor diesem Hintergrund verstört die Haltung des Vatikan als völkerrechtliches Subjekt wie als religiöser Akteur erheblich. Während sich Bischöfe etwa aus Österreich und Deutschland sofort und unzweideutig positioniert haben, erschienen die Statements aus dem Vatikan sonderbar zurückhaltend, vor allem ambivalent. „Der Papst sei traurig über die Gewalt und bete für alle Toten und Verletzten dieser neuen Welle der Gewalt“, richtete Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin der internationalen Presse zunächst aus.

Zugleich richtete Parolin den Blick auf die Palästinenser in Gaza, die ihrerseits zu Opfern würden. Franziskus selbst forderte ein Ende der Gewalt. Der Vatikan sieht sich als möglichen Vermittler in diesem Konflikt. Seine diplomatische Erfahrung, seine internationalen Netzwerke, seine Verbindungen in Israel scheinen ihn dazu zu prädestinieren. Und die humanitäre Botschaft des Evangeliums verlangt, auf alle Menschen gleich welcher Nation und Religion zu achten, mit besonderer Aufmerksamkeit für die Ärmsten der Armen, wie Papst Franziskus nicht müde wird zu betonen. Aber schließt dies nicht ein, unmissverständlich zu brandmarken, wer diesen Terrorakt begangen hat?

Dabei ist aus Sicht der Kirche ein Aspekt von besonderer Bedeutung, der in den Stellungnahmen des Vatikan und auch in der vor einigen Tagen nachgereichten Verurteilung des Hamas-Terrors durch Parolin keine Rolle zu spielen scheint: dass jeder Angriff auf jüdisches Leben und die Vernichtung des Staates Israel, die für Hamas, Hisbollah und Iran ihre Terroragenda anleitet, kein politisches Thema neben anderen für die Kirche sein kann. Seit dem 2. Vatikanischen Konzil erkennt die katholische Kirche an, dass das Judentum, mit dem Apostel Paulus gesprochen, die Wurzel ist, die das Christentum trägt.

Israel und das Judentum gehören untrennbar zur christlichen Identität – mit jüdischem Leben und Glauben in Israel. Nicht nur religionshistorisch, sondern jetzt. Immer. Das schließt echte Solidarität ein, wie die katholische Kirche oft genug betont hat. Umso mehr stellt sich die Frage, warum der Papst in seiner ersten Stellungnahme verschwiegen hat, was Staatschefs und Bischöfe sofort benannten: mit der Verurteilung des barbarischen Angriffs auch die Verantwortung der islamistischen Terroristen.

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