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Nicht nur Sache der Experten

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DIB SACHE MIT GOTT. Die protestantische Theologie im SO. Jahrhundert. Von Heini Z a h r n t. R. Piper & Co. Verlag, München. Leinen 512 Seiten. S 177.60.

Im Vorwort seines Buches stellt eich Zahrnt die Aufgabe, dem Leser die Hauptlinien und Pointen des großen Dialogs der protestantischen Theologie seit dem ersten Weltkrieg aufzuzeigen und so einen „Leitfaden“ durch die verwirrende Fülle der Gedanken zu bieten.

Weil Theologie mehr als jeder anderen Wissenschaft verboten sei, nur eine Angelegenheit für Experten zu sein — die, so meint Zahrnt, es gleichsam als kleines Berufsheer geben muß, dessen einzige Aufgabe darin besteht, eine große theologische Miliz zu schaffen —, will sich der Verfasser in gleicher Weise an Theologen und Nichttheologen wenden. Denn, so schließt Zahrnt sein Vorwort, „fast mit Bestürzung haben wir in den letzten Jahren immer wieder erfahren, wie man der Gemeinde die Kenntnisse der Theologie vorenthalten, ja sie ihr bewußt verschwiegen hat, wie groß daher die Verwirrung in ihr heute ist, wie leidenschaftlich aber auch das Verlangen nach einer gründlichen Information und ehrlichen Diskussion über die Wahrheiten christlichen Glaubens. Beides zu bieten und damit so etwas wie eine .Erste Hilfe' zu leisten, ist die Absicht dieses Buches.“

Und so spannt Zahrnt auf 454 Textseiten den Bogen von Karl Barth über Rudolf Bultmann zu Paul Tillich, deren Positionen er nicht nur darstellt, sondern ebenso wertet, wie die ihrer Nachfolger, Gegner, Gesprächspartner. Es ist erstaunlich, wie es Zahrnt gelungen ist, diese so schwierige Materie lesbar darzustellen, sein Ziel, auch dem Nichttheologen verständlich zu werden, hat er zweifellos erreicht, auch dadurch, daß der umfangreiche Literaturnachweis (27 Seiten) in einem Anhang kapitelweise zusammengefaßt ist, gefolgt von 15 Seiten, respektive 30 Spalten Registerteil.

Das heißt nun nicht, daß das Buch Theologen nicht anspräche, ein lutherischer Bischof schrieb Ende 1966 seinen Amtsbrüdern, er habe das Buch in fünf Tagen mit einer Anteilnahme und Spannung durchgelesen, als wäre es ein Roman.

Indem sich Zahrnt erklärtermaßen mit seinem Buch an dem großen Dialog der Theologie beteiligt, müssen in dieser Gesprächssituation die Rückfragen erlaubt sein und gestellt werden, ob denn tatsächlich die Darstellung der protestantischen Theologie im 20. Jahrhundert so durchzuhalten sei und ob das Programm, gründliche Information weiterzugeben, erfüllt werden konnte. Auch nach peinlicher Überprüfung der eigenen Wertung, wozu Person des Verfassers und Gegenstand des Buches zwingen, wird man beide Fragen negativ beantworten müssen.

Beide, weil dem Leser, dem kundigen wie dem unkundigen, von Anfang an und je stärker, je mehr sich Zahrnts Darstellung der Gegenwart nähert, der verengte Blickwinkel auffällt.

In dieser Darstellung der protestantischen Theologie im 20. Jahrhundert muß — um auf die erste Frage einzugehen — vieles zusammenhanglos im Raum stehen, augenfällig von nach vielen Seiten weisenden Zusammenhängen abgeschnitten: jeder Bezug auf die Theologie, wie sie im dargestellten Zeitraum doch zweifellos im römischkatholischen Raum und im orthodoxen Raum getrieben worden ist, fehlt völlig. Daß gerade in unserem Jahrhundert Kenntnis voneinander und Gespräch miteinander zu vielfältigen wechselseitigen Anregungen und zum Teil sehr starkem Einfluß geführt haben, ist zu bekannt, als daß eine „protestantische“ Theologie noch isoliert dargestellt werden könnte. Das gilt selbstverständlich über den Bereich der christlichen Kirchen hinaus, es fehlt im Buch ebenso jeder Hinweis auf das jüdische Denken um das Alte Testament, was um so schwerer wiegt, als zum

Beispiel Bubers Einfluß damit für den Leser nicht mehr sichtbar wird.

Die zweite Schwierigkeit und Gefahr liegt in der Auswahl, die Zahrnt als repräsentativ hinstellt. Trotz mancher Hinweise auf andere Räume stellt der Verfasser eben nicht „Die protestantische Theologie im 20. Jahrhundert“ dar, sondern doch auch hier wieder nur einen — noch dazu sehr engen — Ausschnitt, nämlich im großen und ganzen den mitteleuropäischen deutschsprachigen, lutherischen Raum.

Daß in großangelegter und großartiger Weise der erste Abschnitt des Buches das Werk des Reformierten Karl Barth darstellt, ändert daran nichts, denn schon die Darstellung der Diskussion über das Werk Karl Barths bewegt sich eng in dem von uns abgesteckten Raum, außerzen-traleuropäische reformierte Theologen kommen dazu und später kaum zu Wort, ein Hendrijk Kreamer ebensowenig wie ein Hromadka oder ein Willem Viisser 't Hooft — um eine bunte Reihe aufzuzeigen. Am Rande taucht John A. T. Robinson auf und soll wohl die gesamte anglikanische — doch wohl auch protestantische — Theologie repräsentieren, von methodistischen Theologen wird geschwiegen.

Aber auch im lutherischen zentral-europäischen Raum verkürzt das Buch. Es ist nicht mehr möglich über die Frage „Wo bist Du Gott?“ mehr als hundert Seiten zu schreiben und Dorothe Sölles „Stellvertretung“ nicht einmal zu erwähnen, wie man nicht über die Rechtfertigung schreiben und — fern von allem Lokalpatriotismus — Wilhelm Dantines Beitrag „Die Gerechtmachung des Gottlosen“ verschweigen kann.

Daß diese beiden Namen für mehr stehen und das Schweigen Zahrnts Wertung und nicht Raffung bedeutet, wird im letzten Kapitel deutlich, wo fast nur Tillich zur Frage, ob denn der Protestantismus am Ende sei, zu Worte kommt, von einem Eberhard Stammler — „Protestanten ohne Kirche“ und vielen vielen anderen aber keine Rede ist.

Damit aber nützt zwar das Buch Zahrnts das leidenschaftliche Verlangen nach gründlicher Information, es kann sie aber leider nicht nur nicht bieten, sondern stellt dem sicherlich durch die Verständlichkeit der Sprache leicht gefangengenommenen Leser einen Ausschnitt als die ganze Wirklichkeit dar und kann so wieder nicht zur ehrlichen Diskussion über die Wahrheiten des christlichen Glaubens verhelfen, was Zahrnt doch wollte.

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