Werte des Fraulichen

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Als päpstliche Feminismus-Kritik wurde das jüngste Schreiben der römischen Glaubenskongregation in den Medien apostrophiert. wolfgang klaghofer-treitler plädiert für einen differenzierteren Blick auf das Ratzinger-Dokument.*)

Europa im Jahr 2100: Der amerikanische Islamforscher Bernard Lewis glaubt, dass spätestens um die kommende Jahrhundertwende Europa mehrheitlich muslimisch sein dürfte. Zwei Gründe nennt er dafür: die Einwanderung von Muslimen und deren höhere Geburtenrate. Diese Perspektiven sind nicht neu. Und sie machen manchen große Angst: Werden die, die vor drei oder vier Jahrzehnten noch im christlichen Abendland geboren worden sind, in ein paar Jahrzehnten ihre letzte Lebensspanne in einem islamischen Abendland zubringen?

Schöpfungsgeschichten

In diesem Kontext kann - über die anlassbezogene feministische Fragestellung hinaus - das letzten Samstag von der Glaubenskongregation veröffentlichte und von Kardinal Joseph Ratzinger unterzeichnete Schreiben an die Bischöfe der Katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt gelesen werden.

Er sei inspiriert von den Lehraussagen der biblischen Anthropologie (Nr. 1), so die Einleitung - und in der Tat: Ratzinger entfaltet auf der Basis der beiden Schöpfungsgeschichten eine Zugehörigkeit von Mann und Frau, in denen sich Gottes Abbild entfaltet. Und dass sich daraus auch Nachwuchs ergibt, war im biblischen Israel blanke Zukunftshoffnung, die als Gottesgeschenk gelebt und geliebt wurde.

Freilich kann man aus der Feder des Präfekten der Vatikanischen Glaubenskongregation nicht erwarten, dass diese Zugehörigkeit das Wesen des Menschen beschreibt. In Israel war zwar der Mensch ohne Partnerschaft halbiert, lebensunfähig - im Katholizismus gehört der Zölibat zum Kern der Überlieferung; er reduziere nicht das Menschsein, denn er werde ja, so Ratzinger (Nr. 13), von beiden Geschlechtern gelebt. Deshalb betont er, dass man nicht die biologische Fruchtbarkeit mit vitalistischen Ausdrücken verherrlichen und damit die Frau abwerten soll als Gebärmaschine. Also gibt es in diesem Text gewiss keine Spur eines Mutterkreuzes mit katholischem Prägemal. Das verhindert Ratzingers Eintreten für den Stand der Jungfräulichkeit: Es wird deshalb wohl kein Zufall sein, dass dieses Dokument, das an die Bischöfe der katholischen Kirche gerichtet ist, mit einem marianischen Tag datiert ist - mit 31. Mai 2004, dem Fest Mariä Heimsuchung.

Die Frau als Integrationsfigur

Traditionell fasst das Schreiben die Aufgabe der Frau in der Gesellschaft von heute: Sie soll in einer durch die Erbsünde zerrütteten Welt (Nr. 7), in der Unterdrückung und Begierde vorherrschen, ihre unersetzliche Rolle ... in allen Bereichen des familiären und gesellschaftlichen Lebens (haben), bei denen es um die menschlichen Beziehungen und die Sorge um den anderen geht (Nr. 13). Später wird das dann noch präzisiert durch den Bezug auf Marias Haltungen des Hörens, des Aufnehmens, der Demut, der Treue, des Lobpreises und der Erwartung (Nr. 16). Die Frau - eine idealtypische Ordensfrau?

Es sieht fast so aus - und wird doch korrigiert. Denn was Ratzinger hier entwirft, legt er von seiner Sicht der Frau aus gesehen auf die Kirche im Ganzen aus. Insofern repräsentiert sich in diesem Bild der Frau die Kirche und umgekehrt. Warum dann nicht der Frau eben doch auch das hörende, aufnehmende, demütige, treue, lobpreisende und erwartende Priesteramt verleihen? Das wird abgeschnitten durch den traditionellen Hinweis auf eine ebenso traditionelle wie seltsame Metapher, dass Maria, die Mutter Jesu, Braut Christi sei und durch Christus als Mann, der die Kirche gezeugt habe (Nr. 15), das Priesteramt Männern vorbehalten bleibe (Nr. 16).

Jedenfalls wird die Frau als Integrationsfigur gesehen. Von ihr her bauen sich Gesellschaft und Kirche auf; in ihr finden sie ihren Mittel- und Ruhepunkt; durch sie wird Leben geschenkt und behütet. In den wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Systemen seien diese Grundwerte des Fraulichen zu schützen.

Der unbeleuchtete Rand

Man könnte von Ratzinger her meinen, die feministischen Bewegungen, wie er sie im Blick hat mit der Feindschaft gegen den Mann (Nr. 14), seien Produkt einer ganz bestimmten Ideologie: der Ideologie nämlich, die im Zeichen des wachsenden Wohlstandes und damit auch der wachsenden Macht des Götzen Mammon die alten Verhältnisse umstürzt. Würde das so gesehen, wäre die - auch durch die Kirche Jahrhunderte lang legitimierte - patriarchale Ordnung festgeschrieben, ganz so als wäre der Feudalismus von gestern und vorgestern schon deshalb gültig, weil er sich so lange erhalten hatte.

Doch genau hier lässt weiterdenken: Vielleicht sind die Geschlechterrivalitäten in den 70er Jahren bereits unerkannter Ausdruck gewesen einer spätkapitalistischen Hetze, die heute um sich greift: die Zinsdynamik (eine subtile Herrschaftsform des früheren Imperialismus), der damit verbundene Druck auf die Versächlichung von Mann und Frau, als wäre ein Mittelwesen zwischen beiden Zielbild der Entwicklung (jede/r mit sich selbst allein und doch verdoppelt), der Anstieg schizoider Erkrankungen (weil immer weniger Menschen noch wissen, wer sie sind), das ganze Sklaventum, das heute allen abgefordert wird vom Götzen Mammon - das hat eine zerstörende Dynamik, die in diesem Dokument nicht einmal am Rand aufscheint, jedoch zu den entscheidenden Fragen christlichen Glaubens in der gegenwärtigen hochkapitalisierten Welt gehört. Hier geht es um rebellischen Ausstieg - im Zeichen der Ruhe, in der Mann und Frau zu sich und zu Gott finden können.

Israel hat der Welt ein Geschenk gemacht: den Schabbat. Vielleicht kommt ja auch einmal der Tag, an dem in einem Dokument der Vatikanischen Glaubenskongregation dieses hohe Geschenk geehrt werden wird - und mit ihm die Auszeit, die Gott den Menschen schenkt, damit sie sich endlich den Bereichen zuwenden können, in denen sie Frau und Mann sein können, mit ihrem Reiz, ihren Schönheiten, ihren Geschichten und Geschicken. Hoffnung auf ein solches Memento besteht.

Denn diesmal hat der Präfekt der Glaubenskongregation in Bezug auf Marias Haltungen schon die Kontinuität mit der geistlichen Geschichte Israels (Nr. 16) betont. Vor vier Jahren noch hat er im viel diskutierten Dokument der Glaubenskongregation Dominus Iesus die jüdische Herkunft Jesu nicht einmal erwähnt.

Der Autor ist Professor für Fundamentaltheologie an der Kath.-Theol. Fakultät in Wien.

*) Vgl. auch den Leitartikel auf Seite 1 dieser Furche.

TEXT DES VATIKAN-SCHREIBENS IM INTERNET: www.vatican.va/ roman_curia/congregations/cfaith/ documents/rc_con_cfaith_doc_ 20040731_collaboration_ge.html

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