Wie uns die Schrift entblättert

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Die Graphologin Elisabeth Charkow über die Persönlichkeit hinter der Handschrift, die Kunst der Fälschung und vielsagende Liebesbriefe.

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Die Graphologin Elisabeth Charkow über die Persönlichkeit hinter der Handschrift, die Kunst der Fälschung und vielsagende Liebesbriefe.

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Elisabeth Charkow ist gut ausgelastet. Die Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Graphologie und Schriftexpertise (ÖGS) verfasst Jahr für Jahr mehrere hundert Gutachten, in denen sie versucht, der Persönlichkeit des jeweiligen Schreibers näher auf den Grund zu gehen. Meist sind es Personalabteilungen von Unternehmen, manchmal aber auch Privatpersonen, die sich an sie wenden. Tatsächlich verrät die Handschrift viel über uns, manches aber auch nicht. Was genau herauszulesen ist, hat Charkow der FURCHE erklärt.

DIE FURCHE: Frau Charkow, wir haben Ihnen vorab zwei Handschriften zur Analyse geschickt: Eine von einem etwa 70-jährigen Mann und eine von einer 25-jährigen Frau (siehe unten). Diese Zusatzinfos haben Sie verlangt. Hätten Sie Geschlecht und Alter nicht der Schrift entnehmen können?

Elisabeth Charkow: Ich hätte dazu natürlich eine Idee haben können. Aber es gibt keine eindeutigen Merkmale, die auf eine männliche oder weibliche Schrift schließen lassen - wiewohl es im Sinne des Archetypus durchaus Merkmale gibt. Man sagt etwa, dass weibliche Schriften an sich runder, voller und im Mittelband größer sind. (Das Mittelband ist bei der Schreibschrift der Raum zwischen den Oberlängen - wie bei "l" oder "b" - und den Unterlängen - wie bei "g" oder "f", Anm.) Die Schrift dieser jungen Frau ist etwa wirklich sehr weiblich, sehr gefühlsbetont. Aber es gibt auch Frauenschriften, die in ihrer Zügigkeit und Dominanz sehr männlich wirken können. Das ist umgekehrt bei Männern auch so.

DIE FURCHE: Und das Alter?

Charkow: Hier kann ich mich bestenfalls herantasten, indem ich von der Ausgangsschrift ausgehe, die in der Schule gelernt wurde. Wenn es sich um eine alte, deutsche Schrift handelt, werde ich nicht auf die Idee kommen, dass der Schreiber 17 Jahre alt ist - es sei denn, er hat sich diese Schrift angeeignet. Bei der zweiten Schriftprobe hätte ich aber schon vermutet, dass sie von einem älteren Menschen stammt. Aber ob er 50 oder 90 ist, kann ich trotzdem nicht sagen.

DIE FURCHE: Die Persönlichkeiten der Schreiber haben Sie umso genauer beschrieben. An welchen Details machen Sie das fest?

Charkow: Wir analysieren die Schrift, die ja im Grunde Bewegung ist, nach Merkmalspaaren: groß oder klein, eng oder weit, viel oder wenig Druck, große oder kleine Längenunterschiede, verbunden oder unverbunden, schnell oder langsam geschrieben. Zu diesen Paaren gibt es Grundbedeutungen. Was sie aber definitiv in der einzelnen Schrift heißen, hängt stets vom Schriftgesamt ab. Einer, der klein schreibt, kann etwa bescheiden sein, ein Sachmensch sein, gehemmt sein, zu wenig Kraft für expansive Bewegungen haben oder sich selbst einfach nicht so wichtig nehmen. Da gibt es viele Möglichkeiten.

DIE FURCHE: Und Leute, die groß schreiben?

Charkow: Die können so viel Lebendigkeit und Kraft in sich haben, dass sie viel Raum brauchen - oder aber nur wichtig und groß sein wollen. Man sieht aus der Schrift, ob diese Größe aus dem Wesen heraus kommt oder ob sich hier nur jemand aufbläst. Ein Zeichen für Authentizität ist etwa, wenn die Unterschrift bei einem Brief ähnlich dem Fließtext ist.

DIE FURCHE: Was bedeutet es, wenn jemand unschön schreibt und eine sogenannte "Sauklaue" besitzt?

Charkow: Für den eigentlichen Zweck des Schreibens, nämlich für sich oder einen anderen eine Mitteilung zu fixieren, ist Leserlichkeit eine Voraussetzung. Insofern hat leserlich schreiben etwas mit Rücksichtnahme und Verständigungswillen zu tun. Wobei ich auch etwas schnell für mich hinschreiben kann. Darum sage ich bei einem Gutachten immer: Bitte nicht nur die Schönschrift, sondern auch Einkaufszettel oder Notizen, da drückt man sein Inneres am besten aus. An der Schönschrift kann man eher erkennen, wie sich jemand bei einem besonderen oder würdigen Anlass verhält. Eine Glückwünschkarte wird in der Regel eher formschön geschrieben, es gibt aber auch Leute, die schreiben Liebesbriefe wie Notizen.

DIE FURCHE: Können Sie aus einer Schrift auch ablesen, ob jemand (psychisch) krank ist?

Charkow: Wir sind Graphologen, keine Psychologen. Deshalb können und dürfen wir auch nicht sagen, ob jemand möglicherweise neurotisch oder schizophren oder schwer depressiv ist. Wir können bestenfalls sagen, die Schrift sieht so aus, als ob die Stimmung gedrückt wäre oder es eine extreme Unruhe gäbe. Definitiv klar ist nur, dass sich bei Parkinson die Schrift verkleinern kann.

DIE FURCHE: Sie verfassen die Mehrzahl Ihrer Gutachten für Unternehmen, die geeignetes Personal suchen. Das wundert mich: Ist die Zeit der handschriftlichen Lebensläufe nicht schon längst vorbei?

Charkow: Das schon, aber oft wird ein handschriftliches Motivationsschreiben gefordert. Es sind meist mittelständische Betriebe, die sich an mich wenden und durch ein graphologisches Gutachten einfach eine zusätzliche Information gewinnen wollen. Wie das gewichtet wird, obliegt dem Personalleiter oder Firmenchef. Ich habe aber auch schon für größere Firmen gearbeitet, einmal mit einem Unternehmen aus der Flugbranche, das Bodenpersonal im Kundenbereich gesucht hat. Auf meine Frage, warum sie auf die Graphologie kommen, haben sie geantwortet: Weil wir mit den herkömmlichen Tests nicht mehr weiterkommen.

DIE FURCHE: Neben Handschriftdiagnostik gehört auch der Handschriftenvergleich zum Arbeitsfeld der Graphologen. Das klassische Einsatzgebiet sind hier Testamente. Wie schwer ist es eigentlich, eine Schrift zu fälschen?

Charkow: Das ist gar nicht so einfach, denn dazu muss man erst einmal alle Schriftmerkmale kennen, aufgliedern und dann in der Ganzheit nachmachen können. Dazu kommt, dass auch ungeschriebene Stellen am Papier ein Merkmal sind. Gerade die Wortabstände verlaufen oft sehr automatisch. Um das alles zu schaffen, braucht es schon sehr viel Kunstfertigkeit.

DIE FURCHE: Apropos: Stimmen Sie in das Lamento ein, dass die Kunst der Handschrift durch die digitalen Medien bedrängt wird?

Charkow: Ich finde, man sollte die Handschrift nicht permanent krank reden. Schreiben ist eben ein Kulturgut mit Geschichte. Ich habe Stammbücher von vier oder fünf Generationen meiner Familie, die waren gestochen schön geschrieben, stellenweise fast wie Gemälde. So etwas gibt es heute nicht mehr. Aber überlegen Sie, welche starren Umgangsformen es vor 150 Jahren gab und was Menschen alles nicht durften. Wir sind heute freier und unkonventioneller, aber auch schlampiger geworden. Ich selbst recherchiere auch viel mit dem Computer, aber trotzdem schreibe ich fast jeden Tag. Ich bin auch in einer Freundinnenrunde, in der wir uns justament Ansichtskarten schreiben. Und ich kenne es auch von meinen erwachsenen Kindern, dass man sich dann und wann Liebesbriefchen schreibt.

DIE FURCHE: Ist eigentlich schon einmal jemand zu Ihnen gekommen, um einen Liebesbrief graphologisch analysieren zu lassen?

Charkow: Ja, natürlich. Das machen manche, um sich einen zusätzlichen Eindruck zu verschaffen. Es kann ja sein, dass zwei Anwärter oder Anwärterinnen zur Wahl stehen und sich die Frage stellt, mit wem man besser zusammenpasst. Vor kurzem habe ich auch gelesen, dass Jimmy Carter keine Mails schreibt, weil er Angst hat, überwacht zu werden. Vielleicht ist die NSA überhaupt das beste Argument, um wieder öfter zur Füllfeder zu greifen

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