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Neue Ideen auf alten Grundsätzen

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Von Dozent Dr. Leo Neumann, Direktorstellvertreter der Oberösterreidiisdien Landes-Brandschaden-Versicherungsanstalt

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Von Dozent Dr. Leo Neumann, Direktorstellvertreter der Oberösterreidiisdien Landes-Brandschaden-Versicherungsanstalt

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Wohl braucht die Öffentlichkeit das Vertragsversicherungswesen und nimmt an seinen segensreichen Einrichtungen in immer stärkerem Maße Anteil. Indessen pflegt ein sachliches Interesse, eine eingehendere Kenntnis der rechtlichen, technischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht nur in den weitesten Schichten, sondern sehr häufig auch in den geistig gehobeneren Kreisen zu fehlen. Während so von seiten der Versicherungsnehmerschaft durch die mangelnde Einsicht im allgemeinen ein sehr wenig günstiges Urteil über das Vertragssicherungswesen vorherrscht, fehlt dem mit dem täglichen geschäftlichen Getriebe meist überbelasteten Fachmann und Mitarbeiter dieses Berufsstandes die Zeit und mitunter auch der Mut zu einem beherzten Schritt, jene Maßnahmen zu erkennen und einzuführen, welche bei dem entscheidenden Angelpunkt eingreifen und eine gründliche Reorganisation bewirken können.

Um einen der Hauptirrtümer heraus- zugreifen, dem man bei der Beurteilung des Vertragsversicherungswesens begegnet, sei auf die grundsätzliche Gestaltung dieses Wirtschaftszweiges in der Ausein andersetzung um die jeweilige Wirtschaftsform verwiesen. Tatsache ist, daß das. Vertragsversicherungswesen seine völlige Eigengesetzlichkeit besitzt und daher keineswegs mit der Grundlinie der allgemeinen Wirtschaftshaltung — sei sie zum Beispiel privatwirtschaftlich oder staatswirtschaftlich orientiert — gleichgesetzt werden braucht. Sowohl das deutsche öffentlich-rechtliche Versicherungswesen als auch die kantonalen schweizerischen Anstalten wurden in einer Zeit gegründet beziehungsweise hatten während Jahrzehnten und Jahrhunderten einen nachhaltigen Aufschwung zu verzeichnen, obwohl zur damaligen Zeit das freie liberalistische Prinzip, also das völlig unbeeinflußte Spiel der jeweiligen wirtschaftlichen Kräfte, höchste Autorität darstellte.

Sowohl für die genannten Anstalten als auch für die Gruppe der österreichischen Landesanstalten waren im wesentlichen fünf Grundzüge maßgebend, auf welche die Anstaltspolitik aufbaute: 1. das Öffentlichkeitsprinzip, 2. der Grundsatz der Gegenseitigkeit, 3. der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, 4. das Territorialprinzip, 5. das Ziel der Schadenverhütung.

Dem ö f f e n 11 i c h k e i t s p r i n z i p galten folgende Leitgedanken: Sicherung des Göbäudestandes einschließlich seiner Wohnräume, Erhaltung der Arbeitskraft, Förderung des Hypothekarkreditwesens, Beseitigung des Brandbettels, Erleichterung der Kapitalsbildung und -erhaltung, Vermeidung von Störungen im Wirtschaftsablauf durch einseitige Gesichtspunkte in der Gaschäftspolitik des Ver- tragsversichenin-gswesens.

Der Gr u dsatz der Gegenseitigkeit verband die wertvollen Teile eines gesunden individualistischen Gerechtigkeitsbegriffes mit dem Streben nach sozialer Harmonie. Der sich am Schluß eines Jahres ergebende Gebarungsüberschuß entfällt demnach nicht gesonderten Gewinninteressen, sondern hat im Rahmen einer Treuhandaufgabe eine Sicherheitsfunktion für Schwankungen im Schadenverlauf und soll, nachdem die so angesammelten Rücklagenbestände ein gewisses Maß erreicht haben, durch Einführung einer Prämienrückgewähr nach Möglichkeit zu einer Senkung der Beiträge führen. Wie jeder Wirtschaftsbetrieb verursacht auch der Versicherungsbetrieb Aufwendungen im Außen- und Innendienst. Diese Aufwendungen sind keineswegs eine starre Größe, sondern hängen von dem jeweiligen Stand verschiedener innenorganisatorischer und außendienstlicher Maßnahmen aį. Das Prinzip der territorialen Beschränkung scheint vorerst dem in der Versicherungstechnik grundlegenden Gesetz der großen Zahl entgegenzulaufen. Aber die geschlossene Erfassung eines größeren Versicherungsbestandes mit einer möglichst großen Versicherungsdichte hat so viele wirtschaftliche Vorteile, daß ein Veraicht auf eine darüber hinausgehende Ausdehnung dadurch reichlich aufgewogen wird.

Die Betreuung eines sehr dichten Versicherungsstockes in einem geschlossenen Gebiet ist nicht nur Wirtschaftlich weit billiger, sondern darüber hinaus ist auch die richtige risikotechnische Erfassung leichter möglich, als bei einem vielglied- rigen Versicherungsbetrieb. Und schließlich das fünfte Prinzip, daß Schaden verhütung vor Schadenvergütung geht. Der einzelne Schadenfall soll nicht als der beste Anlaß, um neue Geschäfte zu machen, gewertet werden, sondern als ein, dem wirtschaftlichen Wertbestand letzten Endes auch in sozialer Richtung abträgliches Ereignis, das mit allen Mitteln vermieden werden soll.

Werden diese fünf Grundsätze im praktischen Betrieb weitmöglich ver wirklicht, dann ergibt sich eine neue große Zielsetzung, die gerade für den Versicherungsbetrieb im Rahmen einer öffentlichen Hand sinnfällig ist, nämlich das Subsidiaritätsprinzip. Demgemäß ist der Versidierungsbetrieb nidit Selbstzweck, sondern hat ausschließlich eine dienende Rolle. Er wird sein höchstes Ziel nicht in der Erreichung einer möglichst hohen Prämieneinnahme und im Vergleich hiezu eines möglichst geringen Schadenaufwandes Sehen, sondern er wird die der Allgemeinheit Zur Last fallenden Aufwendungen für den Versicherungsschutz so halten, daß sie — international gesehen — möglichst günstig sind, wobei im Falle der Auswirkung von planmäßigen Schadenverhütungsmaßnahmen entweder eine zumindest vorübergehende Prämiensenkung folgen muß, oder für das laufende Prämienniveau eine erweiterte Haftung durch den Einschluß bisher nicht versicherter Risken zum Ziel gesetzt werden soll.

Alle diese Gedanken können und werden sich aber nur langsam in der Praxis durchsetzen, zumal im Zusammenhang mit der finanziellen Rekonstruktion in der österreichischen Vertragsversicherung vorerst auch eine gewisse Reorganisation Platz greifen muß. Hauptziel dieser Reorganisation wird sein müssen: Durchsetzung eines gesunden Äquivalentprinzips bei der Prämiienkalkulation, weitgehende Herabsetzung der derzeit überhöhten Regiekostenverhältnisse, Prüfung der Verhftltniswerte zwischen Schadenaufwendungen und Regiekosten, Schaffung gesunder Rückversidierungsbedin- gungen, Einführung planmäßiger Schadenverhütungsmaßnahmen auf allen zulässigen Gebieten der Sachversicherung sowie sonstige vordringliche Maßnahmen auf dem Gebiete der betrieblichen Ver- sicherungspolitik.

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