"Wir befinden uns in einem Umbruch"

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Egal ob Leichtbau, Verschattung oder Schutz vor Erdbeben und Terrorattacken: Die Natur ist auch für architektonische Herausforderungen ein guter Ratgeber. Bionik-Forscher Thomas Speck regt dazu an, das Bauen völlig neu zu denken.

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Egal ob Leichtbau, Verschattung oder Schutz vor Erdbeben und Terrorattacken: Die Natur ist auch für architektonische Herausforderungen ein guter Ratgeber. Bionik-Forscher Thomas Speck regt dazu an, das Bauen völlig neu zu denken.

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Bionische Architektur ist einer der Schwerpunkte des deutschen Biologen Thomas Speck, der u. a .an der Schnittstelle von Grundlagenforschung und Technologieentwicklung tätig ist.

DIE FURCHE: Was bedeutet die Bionik für Architekten und Bauingenieure?

Thomas Speck: Pflanzen sind wie Bauwerke, die verschiedene Funktionen erfüllen. Ein Baum ist genauso dem Wind und Wetter ausgesetzt wie ein Gebäude. Insofern ist es naheliegend, dass man versucht, von der Natur zu lernen. Die Bionik hat teils noch Probleme, in die Massenproduktion zu kommen, weil die Produktionsumstellung oft mit großen Kosten verbunden ist. Die Architektur ist hier attraktiv, da bionische Lösungen sozusagen in einer Prototypen-Phase, das heißt bei einzelnen Gebäuden, dem "Nutzertest" unterzogen werden können. Zudem empfinden viele Menschen biologische Strukturen als sehr angenehm und ästhetisch ansprechend. Auch das macht die Bionik für die Architektur interessant.

DIE FURCHE: Welche Vorbilder aus der Tierund Pflanzenwelt spielen hier eine Rolle?

Speck: Es gibt etwa bereits eine selbstreinigende Fassadenfarbe am Markt, die vom Blatt der Lotospflanze inspiriert wurde. Unser aktueller Sonderforschungsbereich TRR 141 (Anm.: Biological Design and Integrative Structures, www.trr141.de), angesiedelt an den Universitäten Stuttgart, Freiburg und Tübingen, widmet sich neben Fragen zur Gebäudehülle und Leichtbaukonstruktionen auch diversen Schutzfunktionen - vor Erdbeben, Steinschlag oder terroristischen Attacken: Wie kann man Gebäude konstruieren, die solchen Bedrohungen standhalten? Als Ideengeber kommen da diverse Baumrinden in Betracht wie die Rinde des Mammutbaums, der sich gut an Waldbrände und Steinschlag angepasst hat. Sie dämmt gegen Hitze, hat aber auch ein hohes Dämpfungsvermögen. Diese Eigenschaften versuchen wir in Baumaterialien zu übertragen. Und wir orientieren uns an den multifunktionalen Lösungen der Natur: Sonnenschutz, Wärmeschutz, Brandschutz, all das ist in einem System integriert.

DIE FURCHE: Welche Trends zeichnen sich in der Baubionik ab?

Speck: Dass sich ein Haus wie von selbst an seine Umwelt anpasst, etwa mit automatischer Wärmeregelung oder autonomem Sonnenschutz. Und das möglichst autark. Bei öffentlichen Bauten, die über längere Zeiträume nicht genutzt werden, kann man vieles automatisieren. Aber im Privatbereich sollte der Kunde jedenfalls einen "Masterknopf" in der Hand haben. Das ist das typische Spannungsfeld zwischen Selbstregulation und Individualität: Es kann ja sein, dass einer drinnen sitzt, der es hell haben will, obwohl die Sonne hereinblendet. DIE FURCHE: Wie bewerten Sie die ökologischen Aspekte der Bionik?

Speck: Die Bionik hat bei nachhaltigen Lösungen für städtebauliche Konzepte eine Vorreiterrolle. Ein beträchtlicher Anteil der CO2-Emissionen entsteht durch die Bautätigkeit, wobei vor allem der Beton ein großes Problem darstellt: Die Herstellung ist energieaufwändig und die Wiederverwendung nicht ganz einfach. Wenn man durch clevere bionische Lösungen Beton einsparen könnte, wäre dies ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Vielversprechend sind etwa Leichtbausäulen mit einem Gewebe aus Kunstfasern und geschäumtem Leichtbeton. DIE FURCHE: Inwieweit wird das "bionische Versprechen" der Nachhaltigkeit eingelöst? Speck: Nicht jedes bionische Produkt ist per se nachhaltig. Auch der Nutzer spielt eine wichtige Rolle. Er muss mitspielen und "Compliance" zeigen -wie ein Patient, der vom Arzt Medikamente verschrieben bekommt. Wenn man etwa die selbstreinigende Fassade streicht, obwohl das noch nicht nötig wäre, ist ein Teil des Nachhaltigkeitspotenzials verpufft. Bei bionischen Entwicklungen sollte stets eine begleitende Analyse zur Nachhaltigkeit erfolgen. DIE FURCHE: Warum sind einige vielversprechende Bionik-Projekte gescheitert?

Speck: Der neuartige Brückenschlag der Disziplinen hat nicht immer dauerhaft funktioniert. Biologen, Chemiker, Physiker, Ingenieure etc. müssen nicht nur eine gemeinsame Sprache finden -bereits das eine riesige Herausforderung -, sondern auch Vertrauen aufbauen. Das gilt auch für die faire Verwendung des geistigen Eigentums. Grundlagenforscher schaffen Ideen, die später vielleicht ein Patent werden, aber per se nicht schutzfähig sind. Und man muss auch den Industriepartnern eine realistische Einschätzung geben. Da wurden früher von den Forschern teilweise Dinge versprochen, die man nicht halten konnte.

DIE FURCHE: Welche Beispiele für bionische Architektur stechen weltweit hervor?

Speck: Die Realisierung der gesamten bionischen Kette, vom biologischen Vorbild bis zum technischen Transfer, ist bis jetzt nur selten verwirklicht worden: So gibt es Deckenkonstruktionen, die von der Leichtbaustruktur des Oberschenkelknochens inspiriert sind, etwa Werke von Paolo Neri in Italien oder Dieter Hecker in Deutschland. Und einige jüngere Architekten versuchen die Bionik jetzt vor allem hinsichtlich Leichtbau und Recycling voranzutreiben.

DIE FURCHE: Aber es gilt wohl auch hier: Nicht immer ist alles Gold, was glänzt ...

Speck: Vieles, was unter diesem Label läuft, ist definitiv nicht bionisch. Antoni Gaudis Kathedrale "Sagrada Familia" in Barcelona ist allenfalls biomorph, nur angelehnt an Formideen aus der Natur. Auch Friedensreich Hundertwasser wird oft fälschlicherweise mit Bionik assoziiert. Beim Eiffelturm in Paris handelt es sich wohl um eine "Bionisierung" im Nachhinein -auch wenn der Bau und die Entdeckung der Knochenbalken zeitlich fast zusammenfallen. Und Frei Otto, der Architekt des Münchner Olympiastadions, hat die Bezeichnung "bionisch" stets zurückgewiesen. Die Ähnlichkeit seiner Zeltdächer mit einem Spinnennetz beschränkt sich nur auf die Optik. Denn im Gegensatz zu einem Spinnennetz sind diese weder elastisch noch besonders leicht.

DIE FURCHE: Wird sich die Baubionik langfristig durchsetzen?

Speck: Ich bin zunächst optimistisch im Bereich der Unikat-Bauten großer Architekten. Aber es wird wohl noch länger dauern, bis die Bionik auch bei den Einfamilienhäusern ankommt. Das Potenzial ist jedenfalls da: Die Herausforderung, eine lebenswerte Umwelt zu schaffen, wird immer größer.

DIE FURCHE: Müsste es zu einem großen Umdenken in der Architektur kommen?

Speck: Wir bauen noch immer für die Ewigkeit. In der bionischen Architektur gibt es Ansätze, Bauten nur für einen gewissen Nutzungszeitraum zu errichten. Bei realistischer Sichtweise werden Einfamilienhäuser maximal von zwei bis drei Generationen genutzt. Dann werden sie oft abgerissen, weil sie den ästhetischen oder funktionellen Aspekten nicht mehr genügen.

DIE FURCHE: Im Zweifelsfall baut man doch besser für die Ewigkeit als allzu kurzfristig!

Speck: Schauen Sie sich doch in diesen Neubauvierteln um, die seit den 1950er-Jahren errichtet wurden. Wenn es da noch alte Häuser gibt, sind die meist völlig umgebaut worden. Man könnte also künftig mit einer sehr stabilen Außenhülle bauen, aber im Inneren große Variabilität erlauben. Die Natur legt ihre Gebilde nur für eine beschränkte Nutzungsdauer an. Was uns an der Natur fasziniert, sind ja gerade Aspekte wie Recycling, biologisches "Turn-over" etc. Die Möglichkeiten durch die neue Roboter-gesteuerte Produktion sind zuletzt stark gewachsen. Vieles wäre noch vor zehn Jahren undenkbar -und unbezahlbar -gewesen. Wir befinden uns in einem Umbruch, und das Potenzial ist erst in groben Zügen abgesteckt.

"BIONISCHES HAUS"

Ein Kärntner Pilotprojekt

Selbstreinigende Böden und Fassaden, Kapillartechnik zur dynamischen Wasserspeicherung in den Wänden, die Selbstregulation des Hausklimas sowie die Nutzung organischer Solartechnik - das sind nur einige der bionischen Lösungen, die für ein Bauprojekt im Technologiepark Villach angedacht sind. Im ersten "bionischen Haus" sollen Natur und Technik weitgehend verschmelzen. Das komplett recyclingfähige Objekt soll sich selbst mit der nötigen Energie versorgen und die überschüssige Energie an andere Häuser abgeben. Geplant war, dass das Projekt der Fachhochschule Kärnten und des Vereins "bionikum :austria" über ein Crowdfunding-Modell finanziert wird, das letztes Jahr eingerichtet wurde. Doch bis jetzt ist das Spendenaufkommen sehr gering. "Insofern ist jetzt die Umstellung auf ein Geschäftsmodell wahrscheinlich", berichtet Peter Piccottini von der FH Kärnten, der wissenschaftliche Leiter dieses Projekts. Und das Haus, das eigentlich für mehrere Familien geplant ist, soll zunächst in ersten Versuchen mit kleineren Elementen umgesetzt werden. Der Start dafür könnte im April erfolgen. (mt)

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