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Von der Evolution zur „Bionik“

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Für Krebskranke, denen der Kehlkopf und damit das wichtigste Mittel zur Verständigung genommen werden mußte, besteht Hoffnung auf einen künstlichen elektronischen Kehlkopfersatz. Die medizinischen und technischen Probleme seien im großen und ganzen gelöst, teüte Prof. Herbert J. Pichler, der Leiter des österreichischen Instituts für Flugmedizin und Weltraumbiologie, bei einem Pressegespräch mit. Ein österreichisches Patent für den Kunstkehlkopf sei bereits angemeldet, doch sei das Projekt eingeschlafen. Man hat kein Geld dafür.

Das Projekt, eingeschlafen zwar, aber offensichtlich nicht vergessen, ist einer der vielen Erfolge einer neuen Wissenschaft, der Bionik. Das Wort setzt sich zusammen aus „Biologie“ und „Technik“ oder „Elektronik“ und bezeichnet eine fruchtbringende Teamarbeit zwischen Biologen und Technikern, Ärzten und Elektronikern. Bionik ist die Kunst, technische Probleme durch die Kenntnis „natürlicher Systeme“ (etwa des menschlichen Körpers) zu lösen. Der Bioniker sei darauf erpicht, erklärt Pichler, den „Schatz an Erfindungen“, den die Evolution in Jahrmilliarden angelegt hat, zu heben und erneut, zum zweiten Mal, für den Menschen nutzbar zu machen,

Hierbei lassen sich Anwendungen in beiden Richtungen, zum Wohle des Menschen und seiner Gesundheit oder zum Nutzen der technischen Welt und des Fortschritts beobachten. So lassen sich Erkenntnisse aus dem Stadium des menschlichen Nervensystems oft im Nachrichtenwesen, etwa beim Bau von Satelliten, verwerten. Gelegentlich entwickeln

Elektroniker nachrichtentechnische Finessen, bei denen technisch versierte Mediziner gelassen abwinken: alles schon dagewesen, die Natur war schneller.

Ausgang aber bleiben immer die „natürlichen Systeme“, deren innewohnende Ideen, seien sie nun durch höheren Verstand vollbracht oder durch Zufall und Notwendigkeit, erneut für den Menschen und seine Umwelt nutzbringend angewendet werden können.

Das Wort „Bionik“ wurde 1958 in den Vereinigten Staaten geprägt und ist Ergebnis der Raumfahrt, die aus praktischer Notwendigkeit die Zusammenarbeit bislang getrennter Forschungsdisziplinen erzwang. Allein die naheliegenden medizinischen Fragen, die die Raumfahrt aufwarf („Welche Folgen hat die Schwerelosigkeit auf den menschlichen Körper?“), wiesen die Mediziner und Techniker auf Lösungen, die auch für die allgemeine Medizin verwertbar sind. Hier ergeben sich für die Mehrheit der Menschheit unmittelbar Auswirkungen aus dem gelegentlich belächelten Raumfahrtprogramm.

Insofern lebt Apollo weiter, denn das neue medizinisch-technische Wissen ist noch lange nicht in seiner vollen Tragweite für die allgemeine Medizin erfaßt. Es muß in jedem einzelnen Land erst umgesetzt werden, für die Ärzte, die keinen Draht zur NASA haben, erschlossen werden. Dazu sind vonnöten: Forscher wie Pichler, die in einigen Sätteln fest sitzen, die entsprechenden Instrumente und Publikationsorgane und neben Geldmitteln auch Interesse von staatlicher Seite, damit nicht kurz vor dem Ziel die Projekte platzen.

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