Drohender Kipppunkt: Was, wenn die Atlantikzirkulation versiegt?
Europas „Wärmepumpe“ im Atlantik folgt zum Teil dem Golfstrom. Aufgrund des Klimawandels könnte sie bald kollabieren: Eine neue Studie warnt vor „katastrophalen“ und „beängstigenden“ Folgen. Eine Einordnung.
Europas „Wärmepumpe“ im Atlantik folgt zum Teil dem Golfstrom. Aufgrund des Klimawandels könnte sie bald kollabieren: Eine neue Studie warnt vor „katastrophalen“ und „beängstigenden“ Folgen. Eine Einordnung.
Die Winter sind in Wien wie auf 2100 Meter Seehöhe: fünf bis acht Grad kälter als früher, ähnlich wie einst an der Messstation Galzig am Arlberg. Auch die Sommer sind etwas kühler, das Klima insgesamt kontinentaler. Die zunehmende Hitze des Klimawandels ist aber nur leicht gedämpft. Hitzewellen, Dürren und Starkregen beschäftigen uns weiterhin – und dazu die Frage: Wie verändert sich Europa in einem Klima, das innerhalb einiger Jahrzehnte um durchschnittlich fünf bis 15 Grad kälter geworden ist? Welche Verwerfungen drohen, jetzt, wo sich Regen- und Trockenzeit im Amazonas-Regenwald umgekehrt haben, der Meeresspiegel deutlich ansteigt und die Anbauflächen von Weizen und Mais weltweit um die Hälfte zurückgegangen sind?
Explodierende Heizkosten
Vor diesem Katastrophenszenario warnt eine neue Studie rund um den Klimaphysiker René Van Westen, publiziert im Fachmagazin Science Advances. Dafür hat ein Forschungsteam des Instituts für Meeres- und Atmosphärenforschung der Universität Utrecht den Kollaps der Atlantikzirkulation (AMOC) simuliert. Diese hat Europa bisher verlässlich mit Wärme versorgt, in den letzten beiden Jahrzehnten ist sie allerdings schwächer geworden. Bald könnte sie kollabieren. Die Ergebnisse bestätigen, dass die Atlantikzirkulation einen Kipppunkt hat – und versiegt, wenn das Meer mit zu viel Süßwasser verdünnt wird. Die Folgen wären laut Einschätzung der Forscher „beängstigend“ bis „verheerend“. Besonders Nordeuropa würde sich daran kaum anpassen können; in Wien beispielsweise würden die Heizkosten explodieren.
Einzelne Studien haben oft ihre Schwächen, deshalb sollte man nicht voreilig handeln. Es ist nun aber schon die vierte Studie, die auf einen nahenden AMOC-Kipppunkt hinweist. Zuvor hatten Standard-Klimamodelle immer wieder das Risiko unterschätzt. Die aktuelle Studie basiert auf Beobachtungsdaten, die tausende Jahre zurückreichen. Und sie wurden im stärksten Rechenzentrum der Niederlande ein halbes Jahr lang simuliert. Dadurch konnte ein Frühwarnsignal für den Kipppunkt identifiziert werden: das Minimum des Süßwassertransports vom Nord- in den Südatlantik. Mithilfe dieses Frühwarnsignals ist die Wissenschaft einen Schritt näher, die entscheidende Frage zu beantworten: Wann könnte die Zirkulation tatsächlich kippen?
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!