Sibirien

Klimawandel befeuert Zombie-Brände

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Im eisigen Boden der Arktis überdauern Waldbrände den Winter, um im Frühjahr erneut auszubrechen. Durch den Klimawandel könnte das kuriose Phänomen häufiger werden.

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Im eisigen Boden der Arktis überdauern Waldbrände den Winter, um im Frühjahr erneut auszubrechen. Durch den Klimawandel könnte das kuriose Phänomen häufiger werden.

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Dass die Saison der Waldbrände noch nicht vorüber ist, zeigt aktuell das Feuer in Hirschwang an der Rax. Und so wie heuer der Süden Europas von einer extremen Brandsaison in Atem gehalten wurde, gab es zuletzt auch im hohen Norden verheerende Waldbrände. Angefacht von extremer Hitze brannten die Feuer in Sibirien oder Alaska teils bis in den Herbst hinein. Diese ungewöhnlich lange Feuersaison weckte das Interesse des Forschers Sander Veraverbeke von der Freien Universität Amsterdam. So erforschte er bereits Mitte der 2010er Jahre den Zusammenhang zwischen Blitzschlägen und den ausnehmend heftigen Feuersbrünsten, beobachtete auf Satellitenaufnahmen dann jedoch ein ungewöhnliches Phänomen: „An den Rändern jener Flächen, die im Herbst noch gebrannt hatten, tauchten im folgenden Frühling wie aus dem Nichts neue Flammen auf“, erzählt er.

Normalerweise beginnt die Brandsaison in den borealen Wäldern des hohen Nordens im Mai und Juni, wenn Blitzschläge oder extreme Hitze Brände entfachen. Diese Faktoren kamen im Frühjahr noch nicht infrage, die Ursache musste eine andere sein. „Ich konnte zuerst nicht glauben, was ich da sah“, beschreibt er. Gespräche mit Feuerwehrleuten aus den betroffenen Regionen Kanadas und Alaskas bestätigten seinen Verdacht: Die plötzlich auflodernden Flammen waren Überbleibsel der Waldbrände des Vorjahres. Oberirdisch waren sie zwar von Mensch oder Wetter gelöscht worden, unter Schnee und Eis glimmten die Brände jedoch weiter.

Heuer veröffentlichte Veraverbeke mit internationalen Kollegen eine der ersten quantitativen Studien zum Phänomen der Überwinterungsfeuer in Alaska, den USA und im Nordwesten Kanadas. Das Team analysierte die Zeit von 2002 bis 2018 und stellte bei 0,8 Prozent der abgebrannten Waldfläche unsichtbare Schwelbrände als Ursache fest. Eine Ausnahme war das Jahr 2008, in dem sogar 38 Prozent aller Brände auf Überwinterungsfeuer zurückgingen. Der Wissenschaft sind die saisonübergreifenden Brände kein gänzlich neuer Begriff, erforscht werden sie dennoch erst seit Kurzem.

Generell können Überwinterungsfeuer in allen borealen Waldregionen entstehen, deren Böden tiefe Schichten organischen Materials aufweisen. Das ist etwa in den Nordwestterritorien Kanadas wie auch in der sibirischen Taiga der Fall, wo Torf, Flechten, Moose oder die Streu der Bäume den Boden bis zu einem halben Meter hoch bedecken. Auf diesem Nährboden können sich Brände tief in die organische Auflage des Waldbodens fressen und dort selbst mit geringster Sauerstoffzufuhr über Monate hinweg schwelen.

Die extrem heiß glosenden Glutnester überleben insbesondere, wenn sie von Schnee bedeckt werden. Wie eine isolierende Decke sorgt dieser für wärmere Temperaturen unter der Schneeschicht, andernfalls würde die eisige Umgebungsluft den Brandherden den Garaus machen. Setzt im Frühjahr schließlich Tauwetter ein, flammen die Brände unter vermehrter Sauerstoffzufuhr erneut auf.

Brandgefährlicher Herbst

In der wissenschaftlichen Gemeinschaft und bei lokalen Feuerwehrkräften sorgt die Erscheinung für skeptisches Stirnrunzeln. Bisher existiert sehr wenig stichhaltiges Datenmaterial zu den Überwinterungsfeuern und der Gefahr, die von ihnen ausgeht. Bisher existiert sehr wenig stichhaltiges Datenmaterial zu den Überwinterungsfeuern und der Gefahr, die von ihnen ausgeht. Das Phänomen zu ergründen, ist herausfordernd, da die Brände mehrheitlich in enorm schwer zugänglichen Gebieten in Kanada oder Sibirien auftreten. Die Feuer eindeutig zu identifizieren, gelingt nur auf großer Skalierungsebene mittels Satellitenbildern und -daten. A

uch können sie erst im Frühjahr nach einer starken Feuersaison detektiert werden. Als gesichert gilt bis dato, dass eine längere Brandsaison die Chance für Feuer vergrößert, in den Untergrund zu brennen und zu überwintern. Die Zahl solcher bis in den Herbst andauernden Waldbrände sei in borealen Wälder in den letzten Jahrzehnten merklich gestiegen, so Rebecca Scholten, Erstautorin aus dem Team von Veraverbeke: „Wir haben auch eine Verbindung zwischen heißen Sommern und dem Vorkommen überwinternder Feuer festgestellt.“ Akute Gefahr geht von diesen sogenannten „Zombiebränden“ derzeit vor allem für Feuerwehrleute aus.

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