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St.-Elms-Feuer und Sonnenfleckenjahr

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Elektrische Erscheinungen, die heute nicht nur für den experimentierenden Physiker und den Techniker, sondern darüber hinaus für jeden gebildeten Laien eine Bedeutung im täglichen Leben haben, treten für den nicht mit wissenschaftlichen Instrumenten versehenen Beobachter in der Natur vornehmlich bei Gewittern und dem Sankt- Elms-Feuer auf. Erst im 18. Jahrhundert hat bekanntlich Benjamin Franklin in seinen Briefen an die Royal Society in London die Feststellung elektrischer Ladungen in Gewitterwolken aufgezeigt. Der Aufschwung der physikalischen Wissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert hat dann eine Klarlegung auch der luftelektrischen Erscheinungen gebracht, so daß diesen gewaltigen Naturerscheinungen viel von ihrer ursprünglichen Mystik genommen wurde.

Ein luftelektrische Erscheinung, die in unseren Breiten ungleich seltener als das Gewitter auftritt und auch für den „aufgeklärten" Menschen des 20. Jahrhunderts noch viel Geheimnisvolles an sich hat, ist das St.-Elms-Feuer. Das St.-Elms-Feuer entsteht durch die Induktions- oder Influenzwirkung einer elektrisch geladenen Wolke, die sich auf eine Bergspitze oder zur Erdoberfläche herabsenkt und dadurch an spitzen Gegenständen einen Funkenaustritt bewirkt. Die Wirkung kann verschieden’ sein. Am häufigsten bilden sich bei Nacht sichtbare, zirka 1 bis 5 Zentimeter lange- Flämmchen, die an den Edcen und Kanten von Häusern, an Spitzen der Bäume, -1 Schiffsmasten, aber auch an den Fingti spitzen, ja an Bart- und Kopfhaaren des Menschen austreten. Manchmal erlangen diese Flämmchen aber auch eine Länge von 30 bis 60 Zentimeter; bei starkem Sankt- Elms-Feuer beginnen alle spitzen Gegenstände, wie Bergstöcke, Bajonette auf Gewehren, Heugabeln usw., zu zischen und pfeifen. Gleichzeitig empfindet man im Körper ein unerträgliches Stechen und Brennen. Bei dunkler Nacht kann der Kopf eines Menschen wie von einem Schein umgeben sein. Den prachtvollsten Anblick bietet das Sankt- Elms-Feuer, wenn nicht nur einzelne Bäume, sondern ein ganzer Wald durch Tausende von Flämmchen wie Christbäume erleuchtet ist und in einam Lichtermeer erglänzt. Solche Fälle treten natürlich sehr selten auf, doch konnten einige schon in der Literatur beschrieben werden. Naturgemäß sind die Erscheinungen auf hohen Bergen viel häufiger und intensiver. Der ehemalige Direktor der Zentralanstalt für Meteorologie, Professor Trabert, beschreibt ein solches Sankt- Elms-Feuer auf dem Sonnblick, das er eine geradezu zauberhafte Erscheinung nennt. Er erwähnt auch, daß das St.-Elms-Feuer besonders intensiv wurde, wenn sich die elektrisch geladene Wolke der Bergspitze näherte und so der Abstand Wolke—F de auf ein Minimum herabgesetzt wurde. In einem solchen Fall begann dann die ganze Wolke zu leuchten, und Nebelschleier, welche von der Windströmung über den Berg getrieben wurden, erweckten den Eindruck von Gespenstern.

Die Häufigkeit des Auftretens von SanktElins-Feuer ist von mehreren Faktoren bestimmt. In niedrigeren Breiten tritt es ungleich häufiger auf als in nördlicheren Gegenden. Es gibt ferner gewisse Perioden, die in vieler Hinsicht mit denen der Polarlichter zusammenfallen, nur daß eben die letzteren vornehmlich auf nördliche Gebiete beschränkt bleiben. Ebenst wie die Polarlichter besteht auch beim St.-Elms-Feuer vermutlich ein Zusammenhang mit erhöhter Sonnenfleckentätigkeit, beziehungsweise mit den Protuberanzen der Sonne. Im Jahresverlauf zeigt sich schließlich ein gehäuftes Auftreten zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche.

In unserer Gegend ist das St.-Elms-Feuer in der Niederung nicht zu häufig. Vor kurzem wurde aber aus der Gegend von M o n d s e e berichtet, daß eine eindrucksvolle Erscheinung am 16. Februar abends beobachtet werden konnte. Da das laufende Jahr eine erhöhte Sonnenfleckentätigkeit bringen wird — man rechnet mit einem Maximum gegen Ende des Jahres —, so ist sicher die Zeit günstig für Polarlichter einerseits und St.-Elms-Feuer andererseits. Es darf also nicht wundern, wenn sich diese Naturerscheinungen dieses Jahr und wahrscheinlich auch noch im nächsten Jahr häufiger als sonst zeigen.

Auch heute noch wird sich selbst der Fachmann nicht ganz dem geheimnisvollen, irgendwie unheimlichen Eindruck des Sankt- Elms-Feuers entziehen können. Um wieviel mehr gilt das für die Bevölkerung früherer Zeiten, denen in diesen elektrischen Naturerscheinungen so „sichtbar" die Gottheit eratgegenzutreten schien. Dr. Friedrich Wächter berichtet darüber in „Stiefkinder der Wissenschaft“ (Kleinmayr-Verlag, Klagen- furt, 1935). Den alten sumerischen und chaldäischen Priestern der Babylonier zum Beispiel waren die meisten Eigenschaften und Perioden des St.-Elms-Feuers bekannt. Sie übten dadurch auf das abergläubische Volk, einschließlich der Herrscher, eine unglaubliche Macht aus.

Längst hat die moderne Wissenschaft diesem Mißbrauch des Aberglaubens ein Ende gesetzt. Wir haben gelernt, vieles in der Natur unbefangener zu sehen. Doch steht auch der aufgeklärte Mensch unserer Tage immer wieder staunend und bewundernd vor der Schöpfung und ihren großartigen Erscheinungen in der Natur, zu denen nicht aru letzt die oben dargestellten Phänomene gehören.

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