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Ein wichtiges sozialrechtliches Fachbuch

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Sozialversicherungsrechtliche Entscheidungen. Band I. Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung, Wien 1953, 484 Seiten.

In einer Zeit, in der in Nacheiferung einer ephemeren Gesetzgebung auch das der juristischen Praxis dienende Schrifttum sich immer mehr auf die Herausbringung von „Schnellkommentaren“ beschränkt, die mehrminder deskriptive „Prosaausgaben“ der kommentierten Gesetze darstellen, ist jede systematische Arbeit eine Tat, die der Anerkennung und eines Lobes aller fachlich Beteiligten im voraus sicher sein kann. 1

Dies gilt insbesondere für ein Rechtsgebiet wie jenes der Sozialversicherung, das letztmalig durch das dereinst kritisierte, heute jedoch als vorbildlich empfundene Gesetz über die gewerbliche Sozialversicherung zusammengefaßt wurde, nach 1938 durch den Einbruch des deutschen Rechtes und die Springflut der Kriegsnotverordnungen völliger Unabsehbarkeit anheimfiel, ein Zustand, der sich durch die seit 1945 immer wieder geleistete Flickarbeit und die Folgen der Währungsverdünnung eher verschärfte als milderte. Insbesondere gilt dies für alle Zweige der Rentenversicherung, die zufolge ihres zumeist langjährigen Verlaufes vom Eintritt in die Versicherung bis zur Anspruchsgewährung der Rechtserneuerung und Abstoßung veralteter Rechtsstoffe geradezu unüberwindliche Hindernisse bereitet.

Die von Manz herausgebrachte Sammlung der sozialversicherungsrechtlichen Entscheidungen, deren erster Band nunmehr vorliegt, faßt zum erstenmal seit 1945 den gesamten Stoff des nichtgesatz-ten Sozialversicherungsrechtes zusammen und stellt sich damit der bekannten, vom Bundesministerium für Justiz redigierten Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen als würdiges Pendant zur Seite.

Der erste Band enthält 2257 Rechtssätze aus Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes, des Verwaltungsgerichtshofes, des Bundesministeriums für soziale Verwaltung, der Schiedsgerichte der

Sozialversicherung und der Aemter der Landesregierung. Die Sammlung soll in Jahresbänden fortgesetzt werden. Fünf hervorragende Fachleute: Dr. N o v a k von der Angestelltenversicherungsanstalt, Dr. Teschner vom Bundesministerium für soziale Verwaltung, Dr. Heller vom Wiener Schiedsgericht der Sozialversicherung, Dr. Wychera von der Land- und Forstwirtschaftlichen Sozialversicherungsanstalt, Dr. G a b-1 e r vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, haben ihre Bemühungen vereint, diese überaus schwierige systematische Aufgabe zu meistern.

Der Wert einer derartigen Sammlung liegt neben einer unbeirrbaren Objektivität in der Auswahl des Materials, in der kurzen und prägnanten Herausarbeitung der Rechtssätze in den einzelnen Entscheidungen, nicht zuletzt jedoch in der systematischen Eingliederung derselben. Die vollständigste Sammlung nützt dem Fachmann wenig, wenn er nicht leicht, und zwar von verschiedenen Punkten aus, die gewünschte Entscheidung aufzufinden vermag. Das angezeigte Werk stellt nun dem Leser gleich mehrere Möglichkeiten des Auffindens zur Verfügung. Hier ist zunächst das Inhaltsverzeichnis zu nennen, das an sich bereits eine beachtliche rechtssystematische Leistung darstellt und in die Kapitel: Umfang der Versicherung, Aufbringung der Mittel, Leistungsrecht der Krankenversicherung, Leistungsrecht der Unfallversicherung, Leistungsrecht der Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Privatrecht und schließlich Verfahren zerfällt. Diese Hauptkapitel, insbesondere die Kapitel über das Leistungsrecht, sind im Inhaltsverzeichnis so fein aufgegliedert, daß für den Kundigen schon auf diesem Wege das Auffinden einer gewünschten Entscheidung ohne weiteres möglich ist. Subsidiär enthält jedoch der Band auch noch ein Schlagwortver-

zeichnis, ein Rechtsquellenverzeichnis, nach welchem sofort festgestellt werden kann, in welchen Entscheidungen eine bestimmte Gesetzesstelle behandelt wird und überdies noch ein Verzeichnis der Geschäftszahlen der in dem Band verwerteten Entscheidungen.

Man kann daher sagen, daß an der zu einem Werk hinzutretenden undankbaren, weil bis zu einem Grad unsichtbar bleibenden systematischen Arbeit der Eingliederung des Stoffes bei dem referierten Werk ganz besonders viel geleistet wurde, wodurch sich diese Arbeit wohltuend voa der sonst leider eingerissenen Hastigkeit juristischer Fachwerke unterscheidet.

Die Fachwelt, worunter jedoch hier nicht bloß die Vertreter der großen Personalbüros, der Fachverbände und Gewerkschaften, sondern auch Rechtsanwälte und nicht zuletzt die Richter und Beisitzer selbst zu verstehen sind, wird den Verfassern für diese Arbeit, die eine wirkliche Lücke ausfüllt, besonderen Dank wissen und ihnen die Fortsetzung ihrer so hoffnungsvoll begonnenen Arbeit nicht nur durch eine denkbar dichte Ver breitung, sondern auch durch tätige Mitarbeit nach Möglichkeit erleichtern. Hans Liebermann *

Geist und Form. Von Karl Vietor. Aufsätze zur deutschen Literaturgeschichte. A.-Francke-Ver-lag, Bern. 381 Seiten.

Diese große, letzte Aufsatzsammlung des 1951' in Cambridge, Mass., verstorbenen bedeutenden Literarhistorikers spiegelt ein Stück Entwicklung der deutschen Literaturforschung wider, das von der Ablösung der biographisch betonten, Vollständigkeit fordernden, arbeitsteilenden Scherer-Schule ausging, sich geistesgeschichtlichen Zielen zuwandte, um schließlich darüber hinaus schon Aufgaben zu sehen, die heute ihrer Behandlung harren. Vietor war, obwohl er in ernster Arbeit die Methodenprobleme seiner Zeit mitdurchfochten hat, überzeugt, die Einführung gerade dieses Buches spricht diese Ueberzeugung klar aus, daß die Geistesgeschichte ihre historische Funktion hatte und heute in ihren Grundzielen nicht mehr zeitgemäß sei. Tatsächlich war sie die literarhistorische Spielart einer Zeithaltung, die nach einer Synthese von vorpositivistischer, sagen wir, universalistischer oder idealistischer Haltung mit Bestrebungen der mehr auf Dokumentation abzielenden Sachforschung späterer Gelehrter. Vietor wuchs schon in der geistesgeschichtlichen Betrach-tungsart heran, für deren Bestrebungen und Ziele gleich der erste große Aufsatz „Deutsche Barockliteratur“ richtungweisend ist. Es sei hier nicht versäumt, darauf hinzuweisen, daß ich diese Arbeit für eine der allerbesten, weil wissenschaftlichsten und klarsten Arbeiten zum Thema des damals zur Neuorientierung aufgerufenen Begriffs der Barockdichtung halte. Auch die folgenden Arbeiten zur Barockepoche sind jede richtungweisend und Arbeiten ersten Ranges. Besonders hervorzuheben ist die von Vietor selbst betonte Wandlung in seinen Anschauungen, die ihn veranlaßten, der „monographisch konzentrierten Interpretation einen bevorzugten Platz unter den Aufgaben der Literaturwissenschaft zu geben“ (S. 11). Hieher gehören die beiden Arbeiten über „Goethes Altersgedichte“ und „Goethes Gedicht auf Schillers Schädel“. Mit der Arbeit über die „Idee des Erhabenen“ betritt der Verfasser den Boden der „ideengeschichtlichen Monographie“. Endlich sprechen die letzten Arbeiten von den Schwierigkeiten, vor die sich der gestellt sieht, der die Geschichte einer literarischen „Gattung“ schreiben will. Das Buch ist eingestandenermaßen auch ein Vermächtnis an eine jüngere Generation von Gelehrten, die sich ja ohne Zweifel mit den Fragen, deren Ungelöst-heit Vietor zu den „Enttäuschungen“ seines Lebens zählt, werden befassen müssen. Vorbildlich an Vietor ist die vornehme und kavalierhafte Ruhe des Vortragstones, die überlegene Aufgliederung des Materials wie der durchleuchtenden Gedanken. Man spürt, Vietor hätte gerne mehr, noch mehr zum Abschluß gebracht, dennoch gehört dieser Band zu den bleibenden germanistischen Arbeiten der über die orthodoxe Geistesgeschichte hinausgreifenden Gelehrtengeneration, die es zur monographisch konzentrierten Interpretation drängt. Ein Aufsatzband, den jeder Germanist studieren sollte.

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