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Schiller in der Bewahrung

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Die Konjunkturpolitik von Professor Karl Schiller, dem Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland, steht vor ihrer Bewährung. Spät genug gestattete ihm seine eigene Partei, die Sozialdemokratie, zu tun, was ihm eigentlich vorschwebte. Der andere Koalitionspartner, die Freien Demokraten, waren ihm auch keine große Hilfe. Hingegen konnte es der christlich-demokratischen Opposition mit der Stabilisierung der Preise nicht schnell und weit genug gehen — und darin befanden sie sich und der von ihr bekämpfte Wirtschaftsminister unleugbar in Ubereinstimung mit der erdrückenden Mehrheit der Bevölkerung. Nun wurde das vielberufene Instrumentarium der Bundesregierung in Gang gesetzt, nachdem das der Bundesbank hergegeben batte, was in ihm steckte.

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Die Konjunkturpolitik von Professor Karl Schiller, dem Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland, steht vor ihrer Bewährung. Spät genug gestattete ihm seine eigene Partei, die Sozialdemokratie, zu tun, was ihm eigentlich vorschwebte. Der andere Koalitionspartner, die Freien Demokraten, waren ihm auch keine große Hilfe. Hingegen konnte es der christlich-demokratischen Opposition mit der Stabilisierung der Preise nicht schnell und weit genug gehen — und darin befanden sie sich und der von ihr bekämpfte Wirtschaftsminister unleugbar in Ubereinstimung mit der erdrückenden Mehrheit der Bevölkerung. Nun wurde das vielberufene Instrumentarium der Bundesregierung in Gang gesetzt, nachdem das der Bundesbank hergegeben batte, was in ihm steckte.

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Ob zu spät oder gerade noch rechtzeitig, die Bundesregierung in Bonn hat getan, was sie konnte — Kanzler Brandt selbst hat es so ausgedrückt —, und was von allen Seiten gefordert wurde: sie hat gehandelt. Was sie nicht tun konnte und was sie nie wird tun können, ist, die Reaktion der Institutionen zu bestimmen, die die großen Fragezeichen in der Stabilitäts- und Konjunkturpolitik setzen, der Institutionen der Wirtschaft und der Arbeit, der Unternehmen und der Gewerkschaften. Das ist gemeint, wenn gesagt wird, daß die Bewährungsprobe für die Bundesregierung spätestens im Herbst gekommen sein wird. Dann beginnen nämlich Tarifverhandlungen in wichtigen Industriebereichen.

Es ist eine Binsenwahrheit, daß ein Unternehmen Lohnerhöhungen nur durch zwei Methoden auffangen kann, durch Preissteigerungen oder Mehrproduktion bei gleichbleibenden Preisen. Mehrproduktion bedeutet aber bei vollausgelasteten Kapazitäten, wie es in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist, in der Regel Kapazitätserweiterung. Das hat die deutsche Wirtschaft bei allen Lippenbekenntnissen zur Preisstabilität die Teuerung, so weit sie selbst betroffen war, relativ gelassen hinnehmen lassen. Kapazitätserweiterung ist mit Investitionen gleichzusetzen. Entschied man sich dafür, dann nahm man Preissteigerungen etwa im Bausektor und die immer rascher kletternden Zinssätze in Kauf. Die bleibende Wertsteigerung der Anlagen mußte eben irgendwie bezahlt werden. Die Aussetzung der degressiven Abschreibung — ohnehin in der Bundesrepublik Deutschland traditionsgemäß weniger wirksam als in anderen vergleichbaren Län-dem — trifft vor allem die Kleinen, ebenso der Höhenflug des Diskontsatzes. Die Finanzstarken werden damit fertig. Und auch die Gewerkschaften können zuversichtlich in die Zukunft blicken. Die Preisspirale zieht die Lohnspirale nach sich, oder auch, je nach dem Gesichtspunkt, die Lohnspirale die Preisspirale. Auf der Strecke bleiben die Kaufkraft der D-Mark und natürlich das Sparkapital.

Diese Entwicklung zu verhindern, muß

das Ziel einer jeden Bundesregierungsein, und in der Tat hat, im Gegensatz zu Wirtschaft und Gewerkschaften, die parlamentarische Opposition in seltenem Einklang mit den Meinungsmedien nach der rettenden Tat gerufen. Nur können weder die Abgeordneten durch noch so gutgemeinte Gesetze noch die Meinungs-medien durch noch so schrille Kassandrarufe die in freier Entscheidung gewählte Reaktion der Wirtschaft und der Gewerkschaften dirigieren. Die Empfehlung der Gewerkschaften, die Unternehmer allein zur Kasse zu bitten, mag zu ihrem Ziel, auch in der Wirtschaft zu einer Mitbestimmung aller Mitwirkenden zu gelangen, passen, aber ihre Durchführung ist in der bestehenden Verfassungsund Gesellschaftswirklichkeit kaum durchzuführen. In der Tat hat sich die Bundesregierung zu den von Professor Schiller schon lange geforderten

Steuervorauszahlungen,die wenigstens für den Augenblick Steuererhöhungen um zehn Prozent gleichkommen, entschlossen, was die Arbeitnehmer wahrscheinlich empfindlicher treffen wird als die Aussetzung der degressiven Abschreibung die Arbeitgeber. Daß die Vergütung ausgerechnet im Wahljahr 1973 erfolgen soll, hat selbst die „Frankfurter Allgemeine“, die seilten so scharfe Formulierungen gebraucht und überdies etwa in der Frage der D-Mark-Aufwertung Schiller gegen seine damaligen Kabinettskollegen Kiesinger und Strauß warm unterstützt hat, schlicht einen „Trick“ genannt.

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