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Weg zur planetarischen Gesellschaft?

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HERRSCHEN ODER HELFEN? Kritische Überlegungen zur Entwicklungshilfe. Von Jochen I Schmauch. Verlag Ronibach, Freiburg, 1967. !l(0 Seiten. DM 30.—.

Der Autor dieser kritischen Ermunterung, Fragen der Entwicklungshilfe aus einer neuen Grundeinsteilung heraus zu überlegen, war lange Jahre Direktor der Deutschen Landjugendakademie Klausenhof, die seit 1960 landwirtschaftliche Entwicklungshelfer aus der Bundesrepublik Deutschland, Holland, Belgien, der Schweiz und aus Österreich auf einen Einsatz in Übersee vorbereitet. Er stellt auf dem Hintergrund von Berichten der Helfer in Afrika, Lateinamerika und Asien Grundprobleme der Entwicklungsländer dar. Manche der jungen Menschen spüren während ihres Einsatzes die Schwierigkeiten engagierten Wirkens in fremder Kultur: Aus Algerien schreibt einer: „Die Gesellschaft hat etwas Unangenehmes, beinahe unheimlich Fremdes an sich. Es wird schwer sein, sich mit ihr zu engagieren, und es erscheint fast unmöglich, sich in dem erforderlichen Maße zu integrieren, ohne sich selbst aufzugeben. Das alles versucht ein drückendes Unbehagen. Um all die Widerwärtigkeiten zu überwinden, bedarf es der Kraft und des Mutes eines Heiligen. Es ist schlimm genug, den wohl schwierigen, wahrscheinlich alber richtigen Weg zu erkennen und doch nicht den Mut zu haben, ihn zu gehen“ (S. 13). Dieses hier ausgedrückte Naheverhältniis zu den Problemen der Entwicklungsländer lebt von einer angestrebten Beziehung der Gegenseitigkeit, die eine Gleichrangigkeit zwischen den Partnern voraussetzt. Diese Zweiseitigkeit ist aber für die nicht einsichtig, die vor allem in einer politischen, kulturellen oder religiösen Mission in ein fremdes Land gehen und dort das „Richtige“ „entwickeln“ wollen. Schmauch sieht im Begriff „Entwicklungsländer“ einen Ausdruck des monozentristischen Denkmodells, das eine Einteilung in die eigene Gruppe und die außerhalb der eigenen Gruppe Stehenden zur Basis hat, wie etwa Christen und Heiden oder Zivilisierte und Wilde, Mutterländer

und Kolonien oder eben Industrieländer und nicht industrialisierte Länder, also Entwicklungsländer.

Er zeigt Aspekte der Entwicklungsländer auf und beleuchtet sie kritisch. Der Hunger wird zurückgeführt auf den Grundzusammenhang zwischen den humanen Grundbedürfnissen und der Kultur, es wird zwischen akutem Hunger, einem absoluten Mangel, und spezifischem Hunger, einem Mangel an rechter Nahrungszusammensetzung, unterschieden und so die Vielschichtigkeit dieses Themenkomplexes herausgestellt. Das Problem der Übervölkerung wird von verschiedenen Seiten her beleuchtet und wesentlich als ein ökonomischer Tatbestand gesehen: „Der Zahl der Arbeitsbevölkerung steht ein Mangel an Arbeitsplätzen gegenüber“ (S. 94). Zum Problem des Analphabetentums stellt Schmauch Tatsachen heraus, die oft verkannt werden: Analphabetentum ist mit Unwissenheit nicht gleichzusetzen; Analphabeten haben im Gegenteil ein ausgeprägtes Erfahru'ngswissen, das von der Tradition getragen wird Die industrielle Gesellschaft scheint demgegenüber „von einem Wissen geprägt zu sein, das, auf experimenteller Erfahrung beruhend, sich nicht als traditional, sondern als wissenschaftlich ausweist“ (S. 103). Ziel der Alphabetisa-tton ist in der industriellen Gesellschaft die Teilnahme des Individuums am geltenden Wissensbestand, was durch kritische Aneignung des überlieferten Wissens erreicht wird

Eingehend werden die Probleme des Selbst- und Fremdverständnisses von Bevölkerungsgruppen behandelt, am Beispiel Indiens werden die Schwierigkeiten nationaler Einigung dargestellt und die Tendenzen zu einem Partikularismus aufgezeigt. Die Spannungen im Interaktions-feld der Nationen werden so verständlich und die jeweilige Bedeutung einer Nation entsprechend ihrer wirtschaftlichen Entwicklung, ihrer Macht und ihrem Prestige erklärbar. Besonders bemerkenswert an diesem Werk ist auch die kritische Auseinandersetzung des Autors mit der Literatur, so daß das Werk zu einer bibliographischen Fundgrube wird.

Das Werden einer planetarischen Gesellschaft wird von den bestehenden Ungleichheiten zwischen den Gesellschaften stark behindert, ja verbindert. Diesen weltweiten Ungleichheiten wird die Forderung nach einer ebenso umfassenden soziallen Solidarität entgegengesetzt, welche eine Einheit stiften könnte.

Hunger, Übervölkerung, Analphabetentum und nationalistische Tendenzen, um die hier zitierten Hauptprobleme der Entwicklungsländer zu nennen, könnten so überwunden werden.

„Der Souverän der heutigen Zeit“, — so schließt Schmauch — „ihrer Dynamik und Zukunft: das sind die Millionen von Armen in der Welt. Ihre Notlage erfordert Zusammenarbeit und nicht, auch nicht kollektiven, Egoismus.“

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