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Brücken, wie sie Morandi baute

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Die Ausstellung von Konstruktionen Riccardo Morandis (Österreichische Gesellschaft für Architektur, Wien I, Blutgasse 3) ist aktuell zunächst einmal, weil in Österreich die Konstruktion von Brücken bisher mit wenig Ambition betrieben wurde und weil nun auch in Stadtgebieten — Wien und Linz — große neue Brückenbauten bevorstehen.

Das Werk Morandis ist aber auch geeignet, das Verhältnis zwischen Ingenieurbau und Architektur — oder besser: zwischen Ingenieuren und Architekten — in Bewegung zu bringen. So sehr nämlich bei uns beide sich in ständischer Isoliertheit und wechselseitiger Geringschätzung gegenüberstehen, so wenig sachlichen Grund hat diese Unterscheidung. Sie ist bloß historisch erklärbar und wird lediglich durch einen streng getrennten Ausbildungsgang aufrechterhalten.

Uns selbst historisch gesehen war die Trennung von Ingenieurbau und Architektur im deutschen Sprachraum nicht Ausdruck einer geistigen Bewegung, sondern bloße Nachahmung und äußere Notwendigkeit. In Frankreich und England nämlich isolierte sich der schöpferische Ingenieurbau von der akademischen Architektur, brachte es zu hervorragenden Leistungen und gründete eigene Schulen. In Deutschland und Österreich wurden nach diesem Vorbild ebenfalls polytechnische Schulen geschaffen, die aber stets das humanistische Bildungsideal und damit praktisch den akademischen Begriff der schönen Künste anerkannten. Im Gefolge wurden die polytechnischen Schulen starrer und akademischer als die Akademien selbst.

Eine Unterscheidung zwischen Ingenieurbau und Architektur ist begrifflich schon deshalb nicht möglich, weil es keine Determination des Entwurfs durch objektive Methoden gibt — ein Vorrecht, das viele Ingenieure in Anspruch nehmen.

(Diese Interpretation von Sachlichkeit, nämlich daß die schöpferische Verantwortung entbehrlich mache, entspricht verbreiteten Auffassungen in einem neueren Arbeitsgebiet: der Stadt- und Landes planung. Dort erwartet man objektive Determination von der „Grundlagenforschung“.)

Morandi wendet sich mit dieser Einsicht gegen Ingenieure, die sich naiv geben — Freyssinet zum Beispiel schrieb über seinen eigenen berühmten Hangar in Orly: „Nach vielem Suchen und Zögern beschloß ich, gewisse Formen, die ökonomisch konstruiert werden konnten, zu kombinieren. Ich beachtete nichts an - denes, und keinen Augenblick dachte ich an die künstlerische Wirkung.“

— .,Wie klar dachte sein großes Ingenieurherz für ihn!“ fügt Morandi hinzu. Es sind immer mehrere richtige Lösungen möglich: schon die Auswahl geht über die Grenze eines objektiven Beweises hinaus. Der Ingenieur hat wie der Architekt mit einer Materie zu tun, in der er Entscheidungen treffen muß, und diese Entscheidungen können verschiedenes Niveau und verschiedene Qualität haben.

In der Isolierung verlieren sich beide Gebiete in Banalität — oder in Oberflächlichkeit. Wie der Gestalter der Ausstellung, Wolfgang Mistelbauer, bemerkt, suchen ehrgeizige Ingenieure ebenso nach „interessanten Konstruktionen“, wie Architekten sich formale Sensationen abzwingen. In Italien ist die Trennung wenigstens dem Gesetz nach aufgehoben: Ein Architekt kann eine Brücke, ein Ingenieur eine Geschäftseinrichtung entwerfen, wie Morandi berichtet. Praktisch stellt sich eine Spezialisierung in ausreichendem Maße von selbst ein.

Anstöße wie diese Ausstellung könnten dazu führen, die Zweckmäßigkeit der getrennten Ausbildung von Architekten und Bauingenieuren zu überprüfen. Bauten wie die Europabrücke — die Morandi immerhin „korrekt“ findet — müßten dann nicht bloß durch ihre Größe imponieren.

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