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Drei wandern ab

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lieber das Kapitel Landflucht wurde von Statistikern, Soziologen und Nationalökonomen viel gearbeitet und es liegt eine große Literatur über dieses Thema vor. Die Natur der Sache bedingt es, daß all diese Arbeiten hauptsächlich aus dem Gesichtswinkel des Menschen! der seinen Boden verlassen hat, erfolgten. Nun ist zur landwirtschaftlichen Produktion nicht allein der Mensch notwendig, sondern dieser benötigt zur Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte auch Kapital und Boden. Mensch, Kapital und Boden bilden eine Einheit der Produktion. Die Landflucht muß von dem Gesichtspunkt all dieser drei Faktoren betrachtet werden, nicht allein nur Vom Gesichtspunkt der Landflucht des Menschen aus. Wohl hat man bei den Landfluchtbetrachtungen Kapital und Boden als Nebengründe der Landflucht wiederholt angeführt, aber nie herausgestellt, daß es sich um drei gleichwertige Dinge handelt. Die Landflucht besteht nicht nur in der Flucht des Menschen vom Boden, sondern auch in der Flucht des Bodens und des Kapitals von der Landwirtschaft. Man könnte demnach die Landflucht so definieren, daß das Heraustreten des Menschen, des Kapitals und des Bodens aus der hauptberuflichen land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung eine echte Landflucht brachte.

Eine Abwanderung vom Land hat immer stattgefunden und findet auch jetzt statt. Diese Abwanderung wird aber erst dann zur Landflucht, wenn sie über den Rahmen hinausgeht und die Produktion der Landwirtschaft, der Bestand der landwirtschaftlichen Bevölkerung darunter leidet. Der schon historische Vorgang der Landflucht hat seine Ursache im Streben des Menschen, Erwerbszweige zu suchen, die Ihm seine Bedürfnisbefriedigung auf bequemere Art gestatten. Er nimmt hierbei auch oft eine geringere Bedürfnisbefriedigung in Kauf, nur um ein bequemeres Leben führen zu können. Ganze Völker, welchen die natürlichen Bedingungen ein besseres Leben und einen höheren Lebensstandard gestatten würden, führen diesen nicht, falls sie dafür mehr Arbeit leisten müßten. Die F uęjitjjps den Berufen mit schwerer körperlicher Arbeit und langer Arbeitszeit ist bekannt. So verläßt der Mensch die Arbeit in den Bergwerken usw. Solange der Mensch seinen Beruf als ethische Aufgabe empfindet, den Beruf als Berufung auffaßt, solange wird er all die Schwernisse auf sich nehmen und trotzdem leinen Beruf lieben Wird aber der Beruf allein aus dem Gesichtswinkel des Gelderwerbes angesehen, geht die Berufsethik verloren, so wird er in seiner Beschäftigung nur noch ein Geschäft sehen und darnach handeln. In der heutigen Zeit haben viele Menschen ihre Berufsethik verloren. Der Handwerker sieht nicht mehr in der Herstellung eines gediegenen Werkstückes eine Aufgabe, sondern nur das Geld, das er durch Schaffung dieses Werkstückes verdient. Dadurch ist der Niedergang des Handwerks bedingt. Der Rechtsanwalt sieht nicht mehr in der Vertretung des Rechtes, der Künstler nicht mehr in der Schaffung des Schönen für seine Mitwelt, der Sportler nicht mehr in der Ertüchtigung seines Körpers die Aufsrabe, sondern alle sehen nur die Möglichkeit, dadurch zu verdienen. Sie haben die Berufung zum Beruf verloren.

Der Hang zum mühe’osen Leben, der Verlust des Berufsethos ist natürlich auch in der Landwirtschaft vorhanden. Er fördert die Landflucht, es ist eine geistige Krankheit, welche sich aber katastrophal auswirkt. Es gab wohl früher auch die Abwanderung, aber es wanderte der Ueber- schuß der ländlichen Bevölkerung ab. Heute ziehen alle, welche ein bequemes Leben wünschen, vom Land weg. Es erfolgt nicht mehr die Abwanderung des lleberschusses, sondern die Landflucht von der Substanz der landwirtschaftlichen Bevölkerung. Dies geschieht in der Verkennung der geistigen Aufgaben des Menschen und seiner gottgewollten Berufung. Der Landflucht des Menschen kann nicht durch Aufsätze und Erlässe gesteuert werden, sondern nur durch eine grundlegende Aenderung der Einstellung der gesamten Bevölkerung mit der Wiederherstellung des Berufsethos.

Aber nicht nur der Mensch flieht die mühevolle Arbeit, sondern auch das Kapital. Der Zug des Kapitals zu einer raschen Verzinsung, zu einer mühelosen Vermehrung ist bekannt. Es wird daher der rein rational und materiell denkende Mensch sein Kapital dort anlegen, wo es ihm den größten Nutzen bringt, wo es sich am raschesten umsetzt, am raschesten verzinst, und dies ist nicht in der Landwirtschaft. So wird auch das in der Landwirtschaft tätige Kapital aus dieser abgezogen.

Bei der als natürlich vorausgesetzten Abwanderung der überschüssigen Menschen vom Land trug und trägt die Landwirtschaft die Kosten der Ausbildung (Aufzuchtskosten). Darunter versteht man, daß die Landwirtschaft aus ihrer Substanz die Kinder solange erhält, bis sie selbst berufstätig werden. Kommt der Mensch jetzt nicht mehr in die Landwirtschaft, sondern wählt er einen anderen Beruf, so hat die Landwirtschaft für diese Berufssparte den Arbeiter großgezogen, der nun, voll einsatzfähig, dort seine Produktionskraft einsetzt. Der Beruf hat für die Ausbildung des Arbeiters keine Kosten zu leisten, der Kapitalsaufwand bis zur Produktionsfähigkeit wurde von der Landwirtschaft getragen, das Kapital ging aber für sie verloren, da seine Arbeit einem anderen Stand zugute kommt.

Die ausheiratenden Kinder verlassen die Landwirtschaft unter Mitnahme von Kapital. Selten heiratet ein Angehöriger eines anderen Berufsstandes in die Landwirtschaft ein. Wieder findet eine Abwanderung des Kapitals statt.

Eine große Kapitalsabwanderung aus der Landwirtschaft stellt die, Vergewerblichung von Produktionszweigen dar. Ursprünglich wurde fast jeder Beruf am selbstversorgenden Hof ausgeübt. Dort entstand er, bildete sich zum Handwerk und Gewerbe aus und spaltete sich aber dann unter Mitnahme der für ihn angelegten Kapitalien aus der Landwirtschaft ab.

Eine Kapitalsabwanderung vollzog sich. In den letzten Jahren z. B. fand durch die Motorisierung die Abspaltung des Fuhrwerksgewerbes aus dem landwirtschaftlichen Verband statt. Mancher abwandernder Sohn erhielt Zug und Wagen, übte anfangs das Fuhrwerksgewerbe aus, bei der Motorisierung wurde er selbständiger Gewerbetreibender, der als Transportunternehmer arbeitet.

Die Landflucht des Kapitals findet durch die verlorenen Aufzuchtskosten, durch Ausheirat und durch Vergewerblichung statt.

Der moderne Verkehr, die Industriewirtschaft benötigt zu ihrem Aufbau Boden, der der Landwirtschaft in den meisten Fällen ohne Ersatzstellung entzogen wird. Eisenbahn, Straßenneubauten, Vergrößerung der Siedlungsflächen für Industriesiedlungen sind solche Fälle. Ursprünglich wurde der Boden von der Landwirtschaft mit einem großen Aufwand von Kapital kultiviert. Der kultivierte Boden wird nun in Anspruch genommen. Im Nichtbedarfsfall, wenn z. B. sich der Standort der Industrie ändert, wird er brach liegen gelassen. Eine Neukultivierung geht wieder auf Kosten der Landwirtschaft.

Ständig fließt Boden aus dem Besitz der hauptberuflichen Landwirte zu berufsfremden Besitzern ab. Viel Boden ist heute Voluptuar- besitz. Viel Boden wird heute von Berufsfremden an Landwirte verpachtet. Der Pachtsehilling ist ein neuerlicher Kapitalabfluß aus der Landwirtschaft.

Durch Erbteilung in Form von Kapitalsanlagen entsteht ein nichtlandwirtschaftlicher Grundbesitz. Hier flieht der Boden die landwirtschaftliche Erzeugung.

Die Landflucht erfaßt nicht nur den Menschen, sie beraubt auch die Landwirtschaft ihrer Produktionsgrundlagen, des Bodens und des Kapitals.

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