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Eine barmherzige Grabschrift

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Es ist hocherfreulich, daß die österreichische Geschichte in jüngster Zeit mehrere berufene Darsteller gefunden hat. „Die Furche“ (35/67) brachte erst vor kurzem eine Rezension des von H. L. Mikoletzky verfaßten Meisterwerkes über „Das große 18. Jahrhundert“ und der „Geschichte der habsburgischen Macht“ von G. Stadtmüller. Nun liegt die zweite Auflage von Rudolf Kremsers „Thron zwischen Ost und West“ vor, deren erste Auflage „Die Furche“ (42/56) begrüßt hat „als einen sehr brauchbaren Behelf zur raschen Orientierung über das bald tausendjährige Österreich“. Von der Neuauflage sagt der Autor, sie soll weder ein umfängliches Werk noch ein chronologisches Handbuch sein, sie soll vielmehr „die inneren Organe des geschichtlichen Vor-

ganges bloßlegen und durch das tiefere Bindringen in die Probleme und Motive der Träger des Geschehens diese in möglichster Verlebendigung der Gegenwart nahebringen“. Diesem Vorhaben ist zweifellos Erfolg beschieden, und es werden alle, die sich von Österreichs Geschichte ohne lange Studien ein BUd machen wollen, mit Nutzen nach der zweiten Auflage greifen, deren „Republikanischer Epilog“ mit 48 Seiten eine zweckmäßige Ergänzung des Werkes ist. Die ersten acht Jahrhunderte bringen auf 212 Seiten die charakteristischen Züge und die bleibenden Leistungen der Herrscher, von denen bloß Rudolf II. und Franz Josephs Vorgänger Ferdinand I. Scheinkaiser waren. Hervortretende Epochen, wie Reformation, der Dreißigjährige Krieg mit Wallenstein

oder die Kultur des Barocks werden in gedrängter Kürze und in gewinnendem Stil vorgeführt, dabei auf das „traditionelle Hauptübel der Monarchie: den meist schlechten Zustand ihrer Finanzen und die Schwierigkeit, ihre politischmilitärische Schlagkraft auf der Höhe ihrer großen Aufgaben zu halten“ hingewiesen. Da die Geschichtsschreibung gerne die nächstgelegenen Zeiten bevorzugt, sind dem Jahrhundert von 1815 bis 1918 120 Seiten gewidmet, mehr denn je hat sich in diesem Zeitraum der von alters her mit ganz Europa eng verbundene Habsburgerthron außer gegen Ost und West noch gegen Nord und Süd zu wehren, dazu im Inneren mit oft neuen zentrifugalen Kräften zu ringen. Dieses entscheidende Jahrhundert kann der Historiker nach zwei Methoden untersuchen: durch Aufhellung der Mißerfolge bei Erörterung von deren Vermeidbarkeit auf dem Wege freilich unbeweisbarer Möglichkeiten oder aber durch Aufzeigen der gelungenen Erhaltung der Donaumonarchie als Großmacht bis zu ihrer gegenüber dem Ausland nicht zurückstehenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Stellung im Jahre 1914 — dank den Bemühungen von Dynastie, Regierungen, Beamtentum und Militär. Kremser geht eher

einen Weg der Mitte und kann nicht an der Quadratur des österreichischen Zirkels vorbeisehen: „Wer über die österreichische Innenpolitik in zu einfachen Kategorien dachte, wurde der Kompliziertheit ihrer Probleme nicht gerecht; wer sich ihrer hingegen in kongenialer Kompliziertheit widmete, verlor darüber die Fähigkeit des durchgreifenden politischen Handelns.“ In ähnlichem Zwiespalt erscheint dem Autor Metternich, der einerseits wegen seiner Haltung im Vormärz getadelt wird, anderseits 1848 ein „welthistorisches Dilemma“ verhindern wollte, sich also einer Aufgabe widmete, „deren bloßer Versuch schon den bedeutenden Staatsmann kennzeichnet, wobei selbst der Nachweis durch ihn ergriffener schlechter Mittel immer noch die Frage erlaubt, ob ihm bessere zu Gebote standen“. Und was das Regierungssystem im Innern betrifft, lesen wir: „Österreich machte aus Bauernvölkern gegliederte Nationen westlicher Prägung. Dem äußersten der Ansprüche, die es durch sein Wirken möglich und erfüllbar gemacht hatte, fiel es schließlich zum Opfer. Diese Feststellung ist die humanste Grabschrift, die auf dem großen Friedhof der Erbannungslosigkeit, die Politik heißt, denkbar erscheint.“

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