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Ansätze zu einer Arbeiterseelsorge

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Das führte dazu, daß man nur von einem einzigen Priester weiß, der sich im Revolutionsjahr 1848 ausdrücklich um die Wiener Arbeiterschaft kümmerte. Es war der Feldkaplan der Akademischen Legion Anton Füster, der Ende Juli 1848 auf dem Wiener Glacis eine Feldmesse zelebrierte, an der 20.000 Arbeiter teilnahmen. Wenige Tage später kam Karl Marx nach Wien, um vor den Arbeitern Vorträge zu halten. Er verließ die Stadt schon nach kurzer Zeit, enttäuscht darüber, daß er hier noch nicht den richtigen Boden für seine Ideen hatte finden können.

Zu Beginn des Jahres 1848 hatte die deutsche Zeitschrift für Statistik einen offensichtlich von liberaler Seite stammenden Beitrag über die Lebensverhältnisse der Wiener Arbeiterschaft veröffentlicht. Ihr soziales, physisches, psychisches und moralisches Elend wird darin genau geschildert. Uber ihre religiöse Einstellung wird lediglich gesagt, daß die Philosophie der Arbeiter die Religion wäre, zwar „nicht mehr die reine“, aber doch im Sinn gewisser einfacher ethischer Verhaltensmaßregeln. Zur Sonntagsarbeit ließen sie sich nur schwer bewegen, doch wäre daran mehr ihr Hang zum Müßiggang als die Scheu vor der Entheiligung des Sonntags schuld.

Wendung zur Kirchenpolitik

Füster war ein politischer Phantast, aber seine Versuche, den Arbeitern als solchen entgegenzukommen, für sie kirchliche Feiern zu veranstalten, mit einem Wort, eine primitive Arbeiterseelsorge zu betreiben, hätten Nachahmung verdient. Denn zu diesem Zeitpunkt scheint zumindest noch eine große Ansprechbarkeit vorhanden gewesen zu sein, die dann anderen Kräften zugute kam. Zwar waren sich im Revolutionsjahr 1848 nach der Meinung des Herausgebers der „Wiener Kirchenzeitung“ Sebastian Brunner alle über die Notwendigkeit einig, daß für die „Proletarier etwas Großartiges“ geschehen müsse. Die Niederwerfung der liberal-demokratischen Revolution durch den betont kirchenfreund-lichen Neoabsolutismus und dessen Bereitschaft, den Josephinismus aufzugeben, hat jedoch bald die Interessen Brunners und seiner Gesinnungsfreunde auf andere, kirchenpolitische Ziele gelenkt. Die Bemühungen um den Abschluß des Konkordats von 1855 und dessen Verteidigung gegen die Liberalen bis 1870 verbrauchte die Kräfte der aktiven katholischen Priester, Journalisten und Politiker. Erst nach seiner Kündigung, mit der die Liberalen auch schon den Höhepunkt ihrer

Entwicklung überschritten hatten, wandten sich die Katholiken wieder der sozialen Frage zu.

Der Siegeszug der christlich-sozialen Partei am Ende des 19. Jahrhunderts ist auf die Aktualität ihres Programmes gerade in sozialer Hinsicht zurückzuführen. Aber es waren die kleinen Handwerker und Gewerbetreibenden, und schließlich die Bauern, die sich der gegen das liberal-kapitalistische Wirtschaftssystem und dessen Auswirkungen kämpfenden Partei anschlössen Die Arbeiterschaft hatte unterdessen ihre Interessenvertreter schon bei den marxistischen Sozialisten gefunden und hielt diesen auch weiterhin die Treue. Sie übernahm auch die religions- und kirchenfeindlichen Tendenzen ihrer vom liberalen Bürgertum herkommenden Führer.

Religionskritik und Antiklerikalismus

Diese Tendenzen wurden durch die marxistische Religionskritik noch verschärft. Sie ließen für ein positives Kirchenverständnis keinen Raum. Der Kampf der von Victor Adler geeinten österreichischen Sozialdemokraten gegen die Schul- und Ehegesetzgebung und die staatliche Besoldung des Klerus wurde daher von Anfang an unter der Devise „Trennung vo/i Kirche und Staat“ geführt. Durch die marxistische Ideologie zusätzlich aufgeladen, richtete er sich aber auch von Anbeginn an gegen die Dreiheit „Pfaff, Adel und Kapital“. Trotzdem erklärte das Hainfelder Parteiprogramm 1889/90 nach dem Vorbild der deutschen Sozialdemokratie aus taktischen Gründen die Religion zur Privatsache, was keineswegs den Intentionen von Marx entsprach. Die Forderung nach der „wahren konfessionellen Volksschule“ ist jedoch schon im Hainfelder Programm enthalten. Sie sollte ihrer Kampfziele bewußte Arbeiter erziehen. In einer von der Kirche beeinflußten Schule sah man dagegen nur eine klerikale „Verdummungsanstalt“, wie man auch die Jenseitsversprechungen der Kirche für eine bewußte Schwächung der Arbeiterschaft zugunsten der herrschenden Mächte und der bestehenden Sozialordnung hielt Das beweist schon das 1889 in der Arbeiter-Zeitung veröffentlichte Gedicht „Pfaffentrost“: „Du wirst ein schönes Leben schauen, Und ewig, ewig bleibt es Dein; Man wird Dir gold'ne Schlösser bauen, Nur — mußt Du erst gestorben sein“ (P. M. Zulehner, Kirche und Austromarxismus, S. 183). Gegen die nur so verstandene Religion setzte man eine andere Religion, „die- wehre Religion der Freiheit und

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