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Der Parlamentsredakteur ist tot

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„Die Aufgabe eines Parlamentsjournalisten ist nicht die eines Fußballreferenten.“ Leopold Kunschak

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„Die Aufgabe eines Parlamentsjournalisten ist nicht die eines Fußballreferenten.“ Leopold Kunschak

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In der Sommernummer des theoretischen Organs der ersten Regierungspartei „Oesterreichische Monatshefte“ führt der Chefredakteur der „Wiener Zeitung“ und Vorsitzende der Vereinigung der Parlamentsredakteure, Dr. Franz Stamprech, eine nüchterne und gründliche Untersuchung über „Oeffentliche Meinung und Parlament“ durch. Sie ist lesens- und vor allen

Dingen beherzigenswert. In den Abgeordnetenklubs der Parteien genau so wie in den Gremien der österreichischen Zeitungsherausgeber. Doktor Franz Stamprech legt, nachdem er an Hand konkreter Beispiele die bedauerliche Entfremdung zwischen der parlamentarischen Arbeit und dem Interesse der Staatsbürger ungeschminkt aufgezeigt hat, die Wurzel des Uebels bloß: das wichtigste Bindeglied ist ausgefallen. Der ,.Parlamentsredakteur“ gehört den ausgestorbenen Wiener Typen an:

„Der Verfasser dieser Zeilen kennt die Geschichte der nunmehr reaktivierten Vereinigung der Parlamentsredakt?ure, an deren Spitze er, dank des Vertrauens ihrer Mitglieder, steht, und weiß daher, welch ein Wandel sich auf diesem Gebiet vollzogen hat. Die Geschichte dieser Vereinigung berichtet, daß zur Zeit der Monarchie an Sitzungstagen im Parlament mehr als 120 Journalisten anwesend und tätig, an sitzungsfreien Tagen ständig etwa 40 Redakteure anzutreffen waren. Dies Journalisten waren mit dem Parlament und seinem Leben geistig verwachsen, sie konnten sich ihrer schönen Aufgabe ganz widmen Nichts war ihnen fremd in diesem Haus, sie waren stets auf dem laufenden und hielten ihre Leser daher auf dem laufenden. Sie hatten Zeit und Gelegenheit, die Gesetzentwürfe ebenso gewissenhaft zu studieren wie die Abgeordneten und erhielten so das geistige Rüstzeug für eine wirklich umfassende Berichterstattung. Jedoch der Parlamentsredakteur dieses Formats hat aufgehört zu existieren, ist ein Phänomen der Vergangenheit. Heute gibt es wohl politische Redakteure, aber keine Parlaments-berichterstatter mehr.

Der .Politiker' einer Zeitung„ dieser von tausend Pflichten geplagte Journalist, muß auch über das Parlament berichten. Er erscheint zu den Nationalratssitzungen und verfolgt ihren Verlauf von der Presseloge aus, muß aber, nachdem er einen flüchtigen Eindruck gewonnen, an seinen Schreibtisch, wenn er nicht ins Hintertreffen geraten will. So bedauerlich die Feststellung ist: die Parlamentsberichterstattung ist zu einer Nebenbeschäftigung des innenpolitischen Redakteurs geworden.

Wer könnte dies ändern? Bedingt durch den kleinen Umfang der Blätter in den ersten Nachkriegsjahren, haben die kaufmännischen Leiter der Zeitungen eine personell gering dotierte Redaktion schätzen gelernt. Sie kommt billiger, wenn auch die Ersparnis, gemessen an den anderen Ausgäben und Herstellungskosten, geradezu lächerlich ist. Auf diese Weise kam der hauptberufliche Patlaments-redakteur unter die Räder, sehr zum Schäden des Parlaments. In diesem Uebelstand wurzelt die Tatsache, daß die parlamentarischen Vor- und Nachberichte, die Kommentierung von Gesetzesvorlagen höchst selten in den Zeitungsspalten Räum finden. Der Parlamentsbericht beschränkt sich auf die Wiedergabe des Sitzungsprotokolls, dem man gerade so viel entnimmt, um einen Rahmenbericht konstruieren zu können. Nui die Wiedererweckung des alten Parlamentsberichterstatters könnte hier Wandel schaffen, seine Tätigkeit, ausschließlich auf das Parlament beschränkt, würde der Volksvertretung in den Zeitungen wieder jenen Raum verschaffen, den sie unbedingt braucht, damit die wichtige Einrichtung der Demokratie wieder das ursprüngliche Ansehen erlangt. Eine inhaltlich weitere und umfassendere, eine objektivere Berichterstattung über das parlamentarische Geschehen als bisher würde auch den Eifer der Abgeordneten anspornen, das Interesse der Oeffentlichkeit an dieser Einrichtung heben und das schaffen, was dem Parlament, von heute zu mangeln scheint: nämlich den engeren Kontakt mit dem Staatsvolk. Die Geschicke eines demokratischen Staatswesens — bedauerlich, daß man diese Binsenwahrheit immer wieder feststellen muß! — werden auf dem Boden seiner freigewählten_ Volksvertretung ent. hieden. Darum hat das Parlament .ein. Recht darauf, publizistisch gut behandelt zu- werden.“.

Wohlan: Die Diagnose ist gestellt. Jetzt heißt es nur, mit der Therapie ernst zu machen. Wer eröffnet den Reigen? Es wäre schön, wenn es jene Partei täte, die in ihre theoretische Monatsschrift den einwandfreien Befund aufgenommen hat.

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