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Der Weg ins Freie

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Acht Monate nach Kriegsende ist die österreichische Regierung von den alliierten Mächten anerkannt worden. Wenn diese Anerkennung auch noch nicht die vollkommene Souveränität bedeutet, so bringt sie doch den ersten offiziellen Kontakt unseres Vaterlandes mit anderen Staaten. Das Tor ist offen, der Weg ins Freie liegt vor uns. In kurzer Zeit wird Österreich wieder Auslandsvertretungen unterhalten. Unser Staat ist arm. Aber Österreich will und muß die Verbindung mit der Welt wieder aufnehmen, in der es große Aufgaben zu erfüllen hat.

Die Gesandtschaften, die heute oder morgen errichtet werden müssen, werden es nicht leicht haben. Es darf nicht vergessen werden, daß wir hier sieben Jahre der Trennung aus dem internationalen Staatengefüge aufzuholen haben und der einzige befreite Staat sind, dessen Verkehr mit dem Auslande nur durch private Kanäle aufrechterhalten wurde. Man hat noch nicht überall genau erkannt, daß auch hier gegen den Nationalsozialismus erbittert gekämpft wurde und auch wir auf dem Altar der Freiheit tausende Opfer gebracht haben. Das wird zu Beginn vielleicht eine der größten Aufgaben der österreichischen Vertreter im Ausland sein, zu beweisen, daß Österreich seinen Platz in der Nach-kriegsvölkerfamilie mit Recht beanspruchen darf.

Unser junger Staat wird jetzt daranzugehen haben, sich eine neue Generation von Auslandsvertretern zu erziehen, die an die große, altösterreichische diplomatische Tradition anzuknüpfen versteht. Kultur, Takt,

Verständnis für die Sorgen fremder Völker und ein Auftreten, das im alten Österreich, vielleicht gerade durch die Blutmischung, den Menschen zu diplomatischen Aufgaben geradezu prädestinierte, müssen auch für die Auslandsvertreter des neuen Österreich selbstverständliche Eigenschaften werden. Es muß erreicht werden, daß jeder Staatsmann, gleichviel woher er kommt und stammt, gerne seinen Fuß auf den Boden einer österreichischen Gesandtschaft setzt, weil er dort nicht — wie ein Franzose einmal sagte — eine, diplomatische, sondern eine freundliche Atmosphäre vorfindet.

Um den für unser Land notwendigen Nachwuchs im Außendienst zu schaffen, wird ihm der Charakter eines Privilegs einer bestimmten Gesellschaftsschichte entzogen vrers den müssen. Den fähigsten Köpfen sollte Gelegenheit gegeben werden, mit jenen in Wettbewerb zu treten, die durch Tradition und Vermögen bisher diese Stellung innegehabt haben. Es wäre zu erwägen, ob man nicht versuchen sollte, schon auf der juridischen Fakultät eine Auslese der Tüchtigsten für den Außendienst zu entdecken und ausgesprochenen Begabungen die Möglichkeit zu geben, bei Abschluß ihrer Universitätsstudien in den diplomatischen Dienst zu treten. Österreichs Weg ins Freie soll ja doch auch ein Weg der Jugend sein. In allen Staaten Europas ist eine starke Verjüngung im Außendienst festzustellen. Unser Land, das in zwei Kriegen viele seiner Besten verloren hat, kann nicht so aus dem Vollen schöpfen, wie es einst der österreichisch-ungarischen Monarchie möglich war. Vor 1914 wurde der junge Mensch, der in den Außendienst treten wollte, durch eine jahrelange Erziehung auf einer der besten Konsularschulen Europas — der Wiener Kon-sularakademie — auf seine Berufung vorbereitet. Nach Abschluß seiner Studien war ihm auf jeden Fall ein Posten im Konsulardienst sicher. Nach Erwerbung des Doktorats beider Rechte und einer zweijährigen Dienstleistung im Ministerium des Äußern mußte der angehende Diplomat eine Attache-Prüfung ablegen, dann konnte er an eine Botschaft oder Gesandtschaft versetzt werden. Dieser Werdegang des Nachwuchses des diplomatischen Außendienstes wurde zum Teil noch nach dem ersten Weltkrieg eingehalten. Der Jugend von heute aber ist dieser Weg vorläufig versperrt; vor drei Jahren ist an Absolventen der Akademie nicht zu denken. Geistige Reife, Liebe zum Beruf und der ehrliche Wunsch, Österreich dienen zu wollen, werden da vieles ersetzen müssen und es wird gehen, wenn die älteren Herren des diplomatischen Dienstes mit ihren Erfahrungen der Jugend zur Seite stehen werÖen.

Ein ebenso großes Problem wie die Personalfrage stellt die Errichtung der Vertretungen selbst dar. Ein Staatswesen mit erschütterten Finanzen muß versuchen zu sparen, wo es nur möglich ist. Dennoch sollte gerade im Außendienst nicht voreilig gespart werden. Er, stellt ja doch die Brücke zur Schaffung neuer moralischer und wirtschaftlicher Geltung vor. In New York, Moskau, London und Paris werden selbstverständlich Gesandtschaften eingerichtet werden. Aber dürfen wir heute irgendeinen Kleinstaat außer acht lassen, der vielleicht ein hervorragendes Bepbachtungsfeld sein wird? Einen Staat, der vielleicht heute noch am Rande der Ereignisse, morgen aber schon vielleicht im Rampenlicht des Weltgeschehens steht, vernachlässigen? Österreich kann seine kulturelle Aufgabe nur erfüllen, wenn das Netz seiner internationalen Beziehungen so stark wie möglich gesponnen wird. Und wir haben auch überall mitzuhelfen, dem alten narbenreichen Europa jenen Platz zu geben, den es trotz allem in der Welt einzunehmen berechtigt ist. Denn für diesen Platz kann noch kein Erbe gefunden werden.

Das Tor ist offen. Eine schwere Bürde der Verantwortung wird auf den Schultern der Männer ruhen, die Österreich als seine Vertreter ins Ausland schicken wird. Also die Besten voran!

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