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Personenwechsel in Budapest

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Unausweichlich sei die Wirtschaftsreform von einer „gewissen Verlagerung der Schwerpunkte der Macht“ begleitet, hatte vor vier Wochen der ungarische Wirtschaftsexperte Professor Bognär vor Journalisten jn Wien erklärt. Was daran sybillinisch klang, hat nun Ungarns Parteichef Kädär deutlich gemacht, indem er an Stelle seines engsten Mitarbeiters Kallai den führenden Mann des „neuen ökonomischen Mechanismus“, Jenö Fock, zum Ministerpräsidenten des Landes machte. Kallai, der Ideologe und etwas doktrinäre Polit-Funktionär, tritt ins zweite Glied zurück — mit einer nicht unwichtigen Aufgabe: als Parlamentspräsident soll er die Nationalversammlung Ungarns aus einem applaudierenden in ein mehr kontrollierendes Gremium verwandeln. „Wir brauchen die Kritik des Parlaments“, sagte Kallais Nachfolger, Fock, in seiner Antrittsrede.

Der Ideologe ist vom Technologen, vom beweglichen Praktiker abgelöst worden: Der 51jährige Fock, gelernter Mechaniker, ist seit 17 Jahren eng mit der industriellen Entwicklung Ungarns vertraut, zuerst in verschiedenen Fachministerien, dann im Außenhandel (1955 leitete er das ungarische Handelsbüro in Berlin). Im Sommer 1956, als der Stalinist Räkosi gestürzt wurde, begann erst Focks Karriere in der Partei, im Zentralkomitee. In den Tagen des Oktoberauf Standes gehörte er zu den wenigen kommunistischen Gewerkschaftlern, die in den Freien Gewerkschaftsbund aufgenommen wurden, der sich damals bildete. Als am 10. Jänner 1957 der Zentrale Arfoei-terrat aus Protest gegen die Kädär-Regierung zurücktrat und die Staatsgewerkschaft dies als „Provokation“ verurteilte, da war es Fock, der die Schuld den Industrieministerien gab, die den Arbeiterräten nicht geholfen hätten... Im Juni 1957 kam er ins Politbüro; seit 1961 war er Erster Stellvertreter Kädärs als Regierungschef und blieb es auch, als dieser 1965 das Amt an Kallai abgab. Das Vertrauen des Parteichefs, das ihn jetzt auf den zweiten Platz im Lande rückte, gründet in einem besonderen Maße in einer Erkenntnis Kädärs, die er erst mit wenigen kommunistischen Spitzenfunktionären im Osten teilt: daß der eigene Bildungsgrad, die eigenen ideologisch bedingten Denkmodelle den Anforderungen der technischen Revolution, den immer komplizierteren Prozessen der Industriegesellschaft nicht mehr gewachsen ist. Deshalb läßt Kädär jetzt einen Fachmann wie Fock an die Spitze, der seit langem eine Wirtschaftsreform vorbereitet (ab 1. Jänner 1966 tritt sie in Kraft), die weit über das hinausgeht, was bisher etwa in der Tschechoslowakei, in der DDR oder gar in der Sowjetunion begonnen wurde. Wie nahe die Pläne in manchem an das jugoslawische Modell heranreichen, wurde in dem Wiener Vortrag Professor Bognärs, eines der engsten Mitarbeiter Focks, offenkundig; er bekannte sich nieht nur zu einer Marktwirtschaft als dem besten „Signalsystem“ ökonomischer Vorgänge, zur weitgehenden Selbständigkeit der Betriebe, er sprach sich sogar für die „Einführung einer konvertiblen Valuta“ und für eine wirtschaftliche Vereinigung West-und Osteuropas aus. Wenn diese nicht zustande komme, werde Europa von den USA und von — Asien „auf einen untergeordneten Rang verdrängt“. Die Sowjetunion als eine fast autarke Weltmacht könne ihre politische Rolle auch spielen, „wenn sich die europäische Zusammenarbeit nicht realisieren läßt“.

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