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Imitiert Ungarn den Weg Siks?

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Das ungarische Regime hat seit dem Ausbruch der tschechoslowakischen Krise wiederholt mit besonderem Nachdruck hervorgehoben, daß sowohl die mit Erfolg eingeleitete Wirtschaftsreform als auch die vorsichtige Demokratisierung des ungarischen politischen und sozialen Lehens fortgesetzt werde. Dennoch traten gewisse Änderungen im „Neuen Wirtsohafitsmechanismus“, der seit dem 1. Jänner 1968 in Kraft ist, hervor.

Nicht die tschechoslowakische Dauerkrise, sondern die ungarische Wintschaftsreform wurde in den Mittelpunkt der Wahlkampagne gestellt, dlie der Wahl der Leitung der Parteigrundorganisationen zwischen dem 1. Oktober und dem 11. November 1968 voranging. Solche Wahlen finden jedes zweite Jahr statt. Diesmal durften sogar offensichtliche Mängel und ökonomische Mißerfolge frei diskutiert werden. Falsche Ansichten sollten gleichfalls bloßgestellt werden, die sich in den KP-Grundorganisationen bemerkbar gemacht hatten. Um dem Parteiprogramm schneller zum Erfolg verhelfen zu können, dürfen weiterhin auch NichtParteimitglieder mit führenden wirtschaftlichen Aufgaben betraut werden, vorausgesetzt, daß sie Fachleute sind. Selbst das Präsidium des Nationalrats der „Patriotischen Volksfront“ hat erklärt, daß es die Aufgabe der Volksfront sei, das „Verständnis“ und die „praktische Verwirklichung“ des „Neuen Wirtschaftsmechanismus“ zu fördern.

Ministerpräsident Jenö Fock sprach schon im September auf der Sitzung des Verbandes der technischen und naturwissenschaftlichen Gesellschaft darüber, wie man es verstehen soll, daß die Einführung der Wirtschafits-reform „frei von Erschütterungen“ war. Er steckte damals etwas zurück und sagte, daß die Resultate als befriedigend angesehen werden müssen, wenn sie im Jahr der Einführung des „Neuen Modells“ nicht wesentlich schlechter werden als 1967. Fock erwähnte als das erfreulichste Ergebnis, daß die Öffentlichkeit sich schneller mit den Gedanken der Wirtschaftsreform befreundet hat, als angenommen, obwohl manche Restriktionen in Kauf genommen Werden mußten. Der führende Finanzexperte der Regierung, Mätyas Timär, warnte aber davor, daß man rasche Wunder von der Reform erwarte. Seiner Ansicht nach können radikale Veränderungen in einem Jahr kaum erhofft werden. Der volle Einfluß der Reform soll erst im Verlauf von drei bis vier Jahren allgemein spürbar werden. Das Beispiel“ Qta Siks, des tschechischen Wirtschaftsreformers, spukt weiter.

Der „Neue Wirtschaftsmecbanismus'' von Budapest ist natürlich keine ungarische Erfindung par excellence, da die meisten Probleme auch die anderen kommunistischen Länder beschäftigen. Es wurden nur die spezifischen ungarischen Bedingungen mit Aufmerksamkeit in Betracht gezogen und berücksichtigt. „Was wäre aus der Wirtsohaftsreform geworden, wenn ihre Einführung mit Artikeln garniert gewesen wäre, die die Regierungen befreundeter Staaten ,insultiert' hätten?“ rief der Sprecher der Budapester Regierung aus. Die Sympathie und Hilfe der „sozialistischen Staaten“ wäre dahin. Die Freunde und die COMECON-Nachbam hätten meinen können, daß man in Ungarn „den Kapitalismus restaurieren“ möchte. Die neuen Manager sind bemüht, mit dem kleinsten Risiko den größten Verdienst für sich und ihre Unternehmen zu sichern, obwohl das Ringen zwischen „alten“: und „neuen Führungsmethoden“ noch gar nicht entschieden ist. Manche Manager weinen den einstigen „ruhigen Häfen“ nach, wo sie vor Anker lagen, da sie kürzlich auf das offene, stürmische Meer herausgejagt worden sind.

Eine der wichtigsten Reformforderungen ist, den früheren Produktionsmarkt durch einen modernen Konsumentenmarkt zu ersetzen, wo Waren m der gewünschten Quantität und Qualität auf den Käufer warten. Der Wunsch der Konsumenten soll in Zukunft ausschlaggebend sein. Die letzte Budapester Herbstmesse sollte diesen Grundsatz schon weitgehend berücksichtigen. Die Marktforschung wurde zum Hauptanliegen erklärt, quasi als Auftakt zur Ab-stimmiung der Interessen der Pro-duktiornsindustrie, des Binnenhandels und der Nachfrage der Verbraucher. Die besagte Messe erhielt die Funktion eines „Nationalforums“' zum Austausch der versch ledensten Ansichten, sie wurde zum „Schild des neuen Wirtschaftsmechanismus“ erhoben. Der Dialog wird groß geschrieben und soll zwischen Produzenten und Konsumenten ständig gepflegt werden.

Aber der Pessimismus einiger Manager war unbegründet, die dem Ministerpräsidenten angstvoll gemeldet hatten, daß die Wirtschaftsrieform im Jahre 1968 einen Verlust von 200 bis 300 Millionen Forint verursachen würde gegenüber den 200 Millionen Profit des Jahres 1967. Die heurigen Gewinne zahlreicher staatlichen Fabriken haben den Plan weit übertroffen. Einige Staatsunternehmen können ihre Preise, die aus Furcht vor Verlust allzu hoch angesetzt waren, wieder herabsetzen. Und die Tatsache kann nicht in Abrede gestellt werden, daß die Preisstabilisierung im Jahre 1968 bemerkenswerte Fortschritte erzielen konnte. So steht heute Ungarn in der europäischen wirtschaftlichen Entwicklung an der 15. Stelle, in der Produktivität jedoch nur an der 19. Ministerpräsident Jenö Fock stellte fest, daß diese Diskrepanz nicht zu unterschätzen sei.

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