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Vertrag mit Österreich

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Als am 15. Dezember die Konferenz der Außenminister der großen Vier nach drei Wochen unerquicklicher und fruchtloser Auseinandersetzungen auseinanderging, glomm aus dem Dunkel, in dem sie verschwand, noch ein schwaches Licht: die Stellungnahme des Außenministers Molotow zu dem Kompromißvorschlag Cheriers, betreffend di russischen Ansprüche an Österreich gab noch Raum für die Fortsetzung der Debatte zwischen den beauftragten Stellvertretern der Außenminister zur Vorbereitung des österreichischen Staatsvertrags. Aber war das kleine Licht mehr als ein zu Ende brennender Docht, der in der nächsten Stunde umkippen und verlöschen würde? Der Optimisten waren wenige und der Österreicher mußte sein Herz fest in die Hand nehmen, um seinen Mut durch die Stimmen, die der Äther über Land und Meer zu ihm hereintrug, nicht erdrücken zu lassen.

Das Licht brennt noch und sein Schein ist heller geworden. Ein konkreter sowjetischer Gegenantrag zu den wesentlichen Österreich-Angelegenheiten liegt vor. Eine gültige Bewertung der Ausgangssituation ist noch nicht möglich, da zur Stunde, da diese Zeilen geschrieben werden, die authentischen Formulierungen des russischen Begehrens noch nicht zur Gänze vorliegen und an wichtigen Stellen Zweideutigkeiten bestehen. Aber eine Verhandlungsbasis ist gegeben, die endlich erlauben wird, von den bösen Worten zu den realen Dingen überzugehen. In der Wiederaufnahme der Verhandlungen für die Vorbereitung des Staatsvertrags, die zufolge des noch in London beschlossenen Zeitprogramms anfangs Februar erfolgen sollte, ist freilich aus Gründen, die in Washington liegen, eine Verzögerung eingetreten, so daß man sogar eine Verschiebung bis Ende des Monats gewärtigen muß. Das ist unerfreulich und schmerzlich.

Man darf aber doch erwarten, daß die großen Schicksalsfragen für Österreich vor ihrer Lösung stehen: Ob der Österreicher endlich aufhören darf, den Rechtstand seines von vier Mächten besetzten Landes mit dem Kondominium zu vergleichen, das nach dem ersten Weltkrieg mehrere Staaten über die einsame Koralleninsel Nauru oder über die Kannibalen der Neuen Hebriden weit draußen im Großen Ozean aufrichteten. Ob der Österreicher nach eigenem Recht auf seiner Scholle leben darf, nur seinem eigenen Gesetz und seinem eigenen Richter verantwortlich. Ob man seinem Land Lebensraum und Zukunft lassen wird und zugleich die Freiheit, seine Stellung unter seinen Nachbarn so einzurichten, wie es seine natürliche Lage, seine Existenzbedingungen, seine Tradition, Geschichte und Kultur ihm weisen — über alles, was die Freiheit und das Wesen eines unabhängigen Staates ausmacht, wird nun entschieden werden müssen, so wie es die Deklaration der Mächte für die Souveränität Österreichs als Kriegs- und Friedensziel erklärt hat.

Die Österreicher sind nicht halbwilde Bewohner eines Koralleneilandes und keine melanesischen Kannibalen, aber wo es um ihr Schicksal geht, sollen sie nur über den Zaun mitreden dürfen! Doch es sei alle Bitterkeit, die aus den schwererträglichen Tatsachen aufkeimen möchte, unterdrückt, schon in Erinnerung daran, daß die ersten Voraussetzungen für eine Befreiung unseres Landes mit dem blutigen Schwert der Sieger geschaffen wurden. Es ist auch offenbar, daß internationale Politik heute mehr als je ein großes Schachbrett ist, auf dem kein Zug, und wäre es auch nur um das Feld eines Bauern, getan werden kann ohne Zusammenhang und Rückwirkung auf das ganze Spiel. Doch es gibt auch andere Gesichtspunkte. Es ist kein Paradoxon, wenn der Österreicher, um dessen Lebenswerte es geht, sich zwischen den großen Partnern des Streites um sein Schicksal als der Neutrale, zwischen den Lagern Stehende fühlt, der am allerwenigsten in dieser Entscheidung Partei nehmen, nach rechts oder links sich schlagen will, sondern nichts anderes sucht, als sich dem Streit der Großen zu entwinden und sich die Freiheit zu erringen. Es soll nie gesagt werden können, daß über den österreichischen Staatsvertrag andere als österreichische Interessen entschieden, daß nicht Recht und Wille des österreichischen Volkes seine Stellung unter den Nationen bestimmten, sondern der Handel der Machtbesitzenden und deshalb die Mitsprache unseres Landes unterbleibe. Übelwollende Auslegungen sind zu widerlegen, daß die Auseinandersetzungen über Österreich, über die Lasten, die es nach dem Vertrag tragen oder nicht tragen soll, über die Einwendungen, die gegen bestimmte Positionen der russischen Rechnung erhoben werden, diktiert sind von den Herrschaftsbestrebungen des amerikanischen Großkapitals und gar nicht aus österreichischem Nutzen und Willen. Solange Österreich nur ein Problem unter uneinigen Mächten und nicht eigenständige staatliche Wesenheit där- stellt, wird sein Schicksal in Gefahr sein, in das verworrene Gespinst außenliegender fremder Angelegenheiten zu geraten; Österreich aber will und kann zum Frieden beitragen. Wird der österreichische Knoten gelöst, so ist damit nach langęn hitzigen Gefechten und gefährlichen Querschüssen der erste Sieg internationaler Verständigung gewonnen.

Man gewähre also Österreich den rechten Platz, um „mitzuraten und mitzutaten”, wo über sein Lebensrecht und seine Freiheit bestimmt werden soll. Es kann in seinen eigenen Angelegenheiten nicht bloß Außenseiter sein. Ein österreichischer Staatsvertrag ist nicht ein Vertrag über Österreich, sondern mit Österreich.

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