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Wirtschaftskommentar

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Ein permanenter Anbotsüberhang bei Gütern des gehobenen Konsums, verbunden mit einer werbegesteuerten Bedürfnisprogression, welche den allgemeinen Kaufkraftzuwachs erheblich übersteigt, hat zur Desintegration einzelner Märkte geführt. Die Folge ist das Enstehen eines sogenannten Grauen Marktes. Dieser ist eine Art von „zweiten” Markt und durch eine ungeordnete Preisdifferenzierung bei gleichartigen Gütern gegenüber den Letztverbrauchern gekennzeichnet, wobei nicht selten unernst gemeinte hohe Preise mit attraktiv hohen Rabatten verkoppelt werden, um bei Kaufwilligen die Annahme einer großen „Konsumentenrente”, eines „Einkaufsgewinnes” hervorzurufen. Das Instrument der Preisdifferenzierung sind jedenfalls Preisnachlässe, welche die üblichen und vom Gesetzgeber gestatteten Nachlässe (zum Beispiel Rabatt bis 3 Prozent) erheblich übersteigen. Die Höhe des jeweiligen Kaufpreises wird auf eine solche Weise durch den Zufall, besser durch die persönlichen Beziehungen eines Käufers bestimmt. Zum Unterschied von jenen Unternehmungen, die sich auf einen grauen Markt etabliert haben, offerieren die sogenannten Diskontgeschäfte vorweg zu billigen Preisen, auf die sie dann keinen Preisnachlaß gewähren. Der Listenpreis etwa der Mehrzahl der im Haushalt verwendeten Elektrogeräte wird gegenwärtig nur noch als ein Höchstpreis aufgefafjt. Der tatsächliche Einkaufspreis hängt von der Höhe der (Geheim-) Rabatte ab, welche der unter Karfellüberwachung stehende Einzelhändler gewährt, oder davon, auf welcher Handelsstufe der Letztverbraucher kaufen karln, ob beim Großhändler oder gar in der Fabrik, wodurch man unter Umständen den ganzen Funktionsrabatt einer übergangenen Handelsstufe erhält. Der Kaul wird auf diese Weise zur echten Spekulation und der jeweilige Preisnachlaß nicht selten zu einem stärkerer Kaufanreiz als die vermutete Nutzenwirkung der begehrten Ware. Ei kommt zum Raballwell- bewerb: Der Rabatt und nicht dei Preis ist Mittel des Wettbewerbes.

Die Preisungewißheit bei vieler Gütern begründet allmählich eine Mentalität, wie sie bei Kaufabschlüssen in orientalischen Basaren besteht, und hat zur Errichtung einer Hierarchie von an sich ungesetzlichen Preisprä- ferenzen geführt, an deren Basis siet jene „Beziehungslosen” befinden, die verhalten sind, die Listenpreise zi bezahlen.

Die geschilderten Tatbestände sine Grund für die Versuche, mittels Wie derhersfellung der Preiswahrheit der in eine unübersehbare Zahl vor Kleinstmärkten aufgespaltenen Mark wieder zu ordnen. Zu diesem Zweci schlägt man vor, vom Bruttopreissystem auf ein System der Netto preise überzugehen. Diese Forde- rung betrifft vor allem die Markenartikel, während die anonymen Waren durch die Neuregelung so gut wie nicht berührt werden, da sich be ihnen jeder Einzelhändler ohnediei seinen eigenen Preis machen kann Einzelne Markenartikel sind unfe anderem dadurch gekennzeichnet daß sie einen gegen Marktbewegungen auf längere Zeit immunen einheitlichen Letzt verbraucherpreii (Bruttopreis) haben. Die Einzelhändler verpflichten sich dabei durch Unterfertigung eines Reverses (daher: Reverssystem) zur Einhaltung der ihnen vorgesdiriebenen Preise (Preisbildung der „Zweiten Han d ). Derzeit wird dieses Systeir in Österreich in elf Fällen geübt, Beim Rest der Markenartikel wird dei Letztverbraucherpreis nur unverbind lich empfohlen (Richtpreis).

Unter den Richtpreisen verkaufen vor allem die erwähnten Diskontgeschäfte. Bei gebundenen Preisen stehen nun die Einzelhändler untereinander nicht in einem Preiswettbewerb; dieser ist dann Sache der Erzeuger vergleichbarer Produkte.

Nach Ansicht eines Gutachters (Dr. Roland Nitsche) würden durch die Einführungen von Nettopreisen, das heißt von je Einzelhändler verschiedenen, aber festen, also nicht mehr reduzierbaren Letztverbraucherpreisen bei Markenartikel, diese in ihrer volkswirtschaftlichen Funktion völlig geändert, und zwar zum Nachteil der Verbraucher. In der BRD sind zwar nach Aufhebung der Preisbindung Schokolade, Spirituosen und Kühlschränke gesunken, jedoch in einem unvertretbaren Umfang, wodurch gleichzeitig ein ruinöser Wettbewerb entstanden ist. Durch einen einheitlichen Preis bei allen Einzelhändlern ist dagegen den Konsumenten eine brauchbare Orientierung geboten, ist doch ein wesentliches Kennzeichen einer Marke ein langfristig gültiges Image, ein permanentes Vorstellungsbild.

Die Notwendigkeit einer Neuordnung auf einzelnen Märkten, etwa dem Markt der Elektrogeräte, ist unbestritten. Nun sollte diese Neuordnung aber nicht zu einer allzu starken Bindung der Einzelhändler an vorgegebene Preise führen. „Die Furche” ist stets für eine realfreiheitliche Wirtschaffsverfassung eingetreten und ist daher auch im gegebenen Fall der Ansicht, daß man nicht einerseits für die Konkurrenzwirtschaft votieren und anderseits das namengebende Merkmal eben dieser Konkurrenzwirtschaff, die Konkurrenz selbst, beseitigen kann. Der Ersatz der Preiskonkurrenz durch einen Service- wettbewerb oder andere Sekundärinstrumente des Konkurrenzkampfes würde Marktwirklichkeifen entstehen lassen, die keineswegs mehr als „frei” zu klassifizieren wären. Anderseits soll freilich nicht übersehen werden, daß preisgebundene Waren langfristig mit gleichen Preisen angeboten werden, also auch bei Warenverknappungen nicht sofort im Preis steigen.

Eine weitere Verrechtlichung des Marktes der Letztverbraucher, der ohnedies zum Beispiel durch sogenannte freiwillige Handelsketten mehr als den Prinzipien einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung angemessen ist, diszipliniert wurde, würde jedoch Merkmale entstehen lassen, die bedenklich nahe an einen Gruppenkollektivismus titoisf ischer Provenienz kämen.

In den letzten Wochen erfuhren wir von erstaunlichen Preissenkungen bei einzelnen Gütern des Elekfrosek- tors. Offenkundig wurden zu diesem Zweck Preisbewegungsreserven her- arvgezogen, wenn nicht Kostenreduktionen weitergegeben worden sind. So dankbar man für jede antizyklische Preismanipulation sein muß, erhebt sich doch die Frage, warum man so spät zur Preiswahrheif gefunden haf, besser zu einer Kalkulation, in der nur knappe Gewinnspannen enthalten sind. Sicher ist die Kalkulation ein Instrument der Marktstrategie; sie darf aber nicht derart konstituiert sein, daß sie zur Sicherung außergewöhnlich hoher Gewinnquoten führt. Wäre die Selbstkosfenlinie im Rahmen der Ermittlung des Anbofs- preises nicht in einem bedenklichen Umfang überschritten worden, hätte es kaum zu den Rabattexzessen kommen können; diese sind Index einer Kalkulationsmoral, die auf die Unwissenheit eines Großteils der Konsumenten spekuliert hat.

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