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Ministerium nicht für alles

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Ein Naiver könnte einmal die Frage teilen: „Wenn es kein Handels ministerium gäbe, hätten wir dann auch keinen Handel, kein Gewerbe, keine Industrie?" Sicherlich hat es in ganz alten Zeiten Handel und Gewerbe (wenn auch nicht Industrie) und keine Ministerien gegeben. Aber damals wurden jene Tätigkeiten noch auf recht primitive Weise betrieben, und sie haben in einer vorwiegend bäuerlich organisierten Gesellschaft nicht die Bedeutung eingenommen, die sie heute haben. Eine gewisse Vorstellung von einer ministerienlosen

Zeit haben wir ja zuletzt 1945 erhalten, als die Verwaltung des Dritten Reiches zusammengebrochen und noch keine andere aufgebaut war. Handel und Gewerbe befanden sich damals auf dem Niveau der Naturalwirtschaft, und besonders der erstere war in Wien durch das Wort Resselpark gekennzeichnet. Wenn es heute also plötzlich aus irgendeinem Grund kein Handelsministerium gäbe, dann würden die Menschen wegen der dadurch entstandenen wilden Verhältnisse alsbald auf deren Regelung drängen, und das würde eben wieder zur Organisierung eine Ministeriums führen.

Händler, Fremde und Polizisten

Die Angelegenheiten des Innenhandels und Gewerbes obliegen im Handelsministerium der Sektion 4. Sie kümmert sich um alle Gewerbepolitik, um das Gewerberecht, um die technischen Betriebsanlagen im Gewerbe. Sie ist oberste Berufungsbehörde für das bei uns so komplizierte Gebiet gewerblicher Konzessionen und Befähigungsnachweise (das jetzt übrigens legislativ reformiert werden soll). Es gibt Länder, in denen jeder ohne Befähigungsnachweis und Auslehre viele Gewerbe ergreifen und ausüben kann. Dort wird es dem Publikum überlassen, zu entscheiden, ob er dessen Kundschaft verdient. (Der Autor dieser Zeilen hat in einem jüngeren Pionierland auf diese Weise an die zwanzig Berufe ausgeübt — um schließlich zu dem zurückzukehren, der ihm von allem Anfang an am nächsten gelegen war.) Neuerdings neigen Länder mit Gewerbefreiheit, wie die USA und Großbritannien, dazu, ähnliche Beschränkungen und Kontrollen aufzuerlegen, wie sie bei uns seit eh und je üblich sind. Allerdings sind nun Ursachen und Umstände ganz andere als seinerzeit bei uns, wo es oft nur darum ging, den dritten Stand nicht zu üppig ins Kraut schießen zu lassen.

Als vor rund tausend Jahren ein Irländer namens Koloman auf frommer Pilgerfahrt nach Rom in der Gegend von Korneuburg durchkam, wurde er von den mißtrauischen Einheimischen für einen Spion gehalten und erschlagen. (Sie haben das dann gutzumachen versucht, indem sie ihn zum Landespatron von Niederösterreich machten.) Heute verhält man sich etwas anders zu den Fremden, und Österreich steht nach Frankreich und Italien an dritter Stelle auf der Welt in bezug auf die Zahl der Nächtigungen von Ausländern. Der Fremdenverkehr ist eine der wichtigsten Einkommensquellen und wird vom Staat unterstützt und gefördert. Die Sektion 4 berichtet, daß für 1960/61 213 Hotelbetriebe Ansuchen um Subventionen in der Höhe von

326,5 Millionen Schilling an das Ministerium gestellt haben, die zum Teil für den Bau von Seilbahnen in Fremdenverkehrsgegenden verwendet wurden — ein Zweck, gegen den die alten Alpinisten von Schrot und Korn einiges einzuwenden haben. Der Fremdenverkehr nimmt in Urlaubszeiten schon langsam den Umfang gegenseitigen Austausches ganzer Völkerschaften an, und wer weiß, ob es nicht schließlich ökonomischer sein wird, ihn tatsächlich auf diese Weise zu organisieren.

Vom Fremdenverkehr ist kein weiter Sprung zum Straßenverkehr, und von diesem zur Straßenpolizei. Beide unterstehen gleichfalls der Sektion 4 des Handelsministeriums — zu einigem Verdruß einerseits des Verkehrsministeriums und anderseits des Innenministeriums. Es ist eine jener Überschneidungen der Kompetenzen, die bei uns so häufig sind und zuweilen auf Kosten der Sache selber gehen. Man sieht durchaus ein, daß zum Beispiel die Überprüfung eines neuen Autotyps auf seine Eignung für österreichische Verhältnisse Sache des Handelsministeriums ist, das über die entsprechenden Fachleute und technischen Prüfungsstellen verfügt. In bezug auf die Straßenpolizei macht das Innenministerium geeignetere zentrale Voraussetzungen für sich geltend. Jedenfalls möchte ein gelernter Fußgänger bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß die ethische Schulung sowohl der Autofahrer als auch der Fahrlehrer und zuweilen auch der Straßenpolizisten einiges zu wünschen übrigläßt. Allen drei Kategorien ist noch immer nicht genug bewußt, daß der Fußgänger der am wenigsten geschützte Verkehrsteilnehmer und nicht als Hase zu betrachten ist, der über Kreuzungen gehetzt und an Straßenbahnhaltestellen überrollt werden darf.

Im Bericht des Ministeriums für das abgelaufene Jahr wird darauf hingewiesen, daß die Kapazität unserer Industrie vollauf von der außerordentlichen Konjunktur des Binnenhandels in Anspruch genommen wird. Nichtsdestoweniger haben wir noch nie einen so hohen Export wie jetzt gehabt:

31,5 Prozent unserer Produktion gehen ins Ausland, und auf je einen Österreicher kommen 137 Dollar für ausgeführte Waren. Der Anteil eines schweizerischen Bürgers an der Ausfuhr seines Landes beträgt allerdings 323 Dollar. Weiter trägt unsere Konsumgüterindustrie in ungleich geringerem Maße zum Export bei als die Schwerindustrie und die Rohstoffproduktion. Von verschiedenen Seiten wird nun darauf hingewiesen, daß es bei uns an Ermutigung zum Export mangle. So müssen auf Grund veralteter Gesetze immer noch amtliche Bewilligungen für die Ausfuhr von Waren eingeholt werden, bei denen gar kein Zweifel darüber besteht, daß jedermann in Österreich nur zu sehr an ihrer Ausfuhr interessiert ist. Dazu gehören zum Beispiel Braunkohle (von der wir nicht wissen, was wir mit ihr anfangen sollen) und Dampflokomotiven (derer wir wegen der Elektrifizierung unserer Bahnen kaum mehr bedürfen). Natürlich erteilt das Ministerium die Bewilligungen, wenn darum eingereicht wird, aber es trägt nicht gerade zur Exportfreudigkeit bei, daß man es überhaupt tun muß.

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