Die Menschen in ihrer Entwicklung suchen oft nach Vorbildern - in der Familie, unter Lehrern (leider immer seltener), oder aber unter Popstars. Länder und Völker, die mit ihrer Lage historisch nicht ganz glücklich sind, suchen als Vorbilder andere Länder. Sehr lange spielte der Mythos "Amerika" diese Rolle. Aus historischen Gründen wurden konkrete Länder in der politischen Geschichte Polens oft als Synthese oder Symbol eines politischen Programms verstanden - eine wunderbare Verkürzung! Im 19. Jahrhundert spielte Frankreich als Freiheitssymbol und Zufluchtsort diese Rolle.
In den Zeiten von Solidarnosc (und später) sprach Walesa in diesem Sinne über "das zweite Japan". Japan, am Gipfel seines Wirtschaftserfolges, mit seiner sozialen Integrität, verkörperte alles, was man in Polen in den 80er Jahren vermisste. Später, nach den Runden-Tisch-Gesprächen und den ersten freien Wahlen am 4. Juni 1989, erschien uns plötzlich Irland als leuchtendes Beispiel - mit seiner Kreativität, freien Wirtschaft, innovativen Dynamik. "Ich liebe dich wie Irland" - dieser Schlager war damals Nr. 1 auf der Hitliste und wies für tausende junge Menschen aus Polen die Richtung der Arbeitsmigration.
Unsere beiden großen Vorbilder stecken heute tief in der Wirtschaftskrise. Wir haben von ihnen vieles gelernt, drücken die Daumen für die schnelle Überwindung ihrer Probleme - und suchen weiter. In letzter Zeit wurde von einem unserer bedeutendsten Politiker Bayern genannt: Wirtschaftswachstum plus Erhaltung der Tradition, Modernisierung und christliche Wurzeln in der Heimat des Papstes - das bleibt für viele ein attraktives Bild (samt der Führungsrolle der CSU).
Hoffentlich bedeutet unsere Wahl jetzt keine unmittelbare Gefahr für das Wachstum Bayerns …
* Die Autorin war 2000-2004 polnische Botschafterin in Österreich
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