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Die jüngsten Verwerfungen auf den internationalen Kapitalmärkten haben einmal mehr gezeigt: Die "Nachtseite der Vernunft" feiert fröhliche Urständ.

Die Wolken haben sich wieder verzogen, der Himmel klart langsam auf. Oder doch nicht? Experten warnen, die jüngsten Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten bloß als reinigendes Gewitter zu verharmlosen. Aber keiner weiß natürlich, wann sich das nächste Ungemach zusammenbraut. Sei's drum, wir haben mittlerweile mit Unwettern und ihren teils verheerenden Folgen, Überschwemmungen, Rutschungen, Vermurungen, zu leben gelernt. Für kurze Zeit fährt es uns in die Glieder, aber bald darauf gehen wir wieder zur Tagesordnung über; keiner will und kann auf Dauer in Schrecken, Angst, Sorgen, Betroffenheit oder was immer leben.

Manche versuchen freilich, genau diese Befindlichkeiten zu schüren: Apokalyptiker haben in Zeiten wie diesen Hochkonjunktur. Wie nach jedem Hochwasser treten nun nach den globalen ökonomischen Verwerfungen der letzten Wochen jene auf den Plan, die es immer schon gewusst haben; sie wollen aufrütteln, sagen sie - aber oft bewirken sie nur, dass sich die Spirale nach unten um so schneller dreht. Denn ganz gelingt uns das mit der "Tagesordnung" eben doch nicht, als Substrat bleibt ein diffuses Unbehagen.

Es speist sich aus der Undurchschaubarkeit der Zusammenhänge: Wenn die Verschuldung US-amerikanischer Häuslbauer die Weltwirtschaft ins Trudeln bringen kann und auch österreichische Kleinanleger davon betroffen sind, hat das etwas Unheimliches an sich. Da kommen scheinbar fest gegründete Sicherheiten ins Rutschen. Irrationalismen aller Art erhalten solcherart Auftrieb, wie im Mittelalter neigen wir dazu, "dunkle Mächte" am Werk zu sehen. Einmal mehr zeigt sich dann, wie dünn der Firnis der Aufklärung in Wahrheit ist, die "Nachtseite der Vernunft" (© Salzburger Festspiele, J. Flimm) feiert fröhliche Urständ.

Nun wissen wir spätestens seit Adorno um die "Dialektik der Aufklärung", und wer nach den Gräueln des 20. Jahrhunderts nur das strahlend-helle Licht der Vernunft sehen und ihre "Nachtseite" bestreiten wollte, hätte nichts verstanden. Das eben aber macht es so schwierig: Wie diese dunkle Seite thematisieren, ohne die Vernunft insgesamt zu diskreditieren? Wie Zivilisationskritik üben ohne in Apokalyptik zu kippen? Wie irrwitzige Spekulationsblasen vermeiden ohne die Idee des freien Handel als solche aufzugeben?

In der Wirtschaft spitzt es sich am deutlichsten zu, hier bündelt sich das meiste Unbehagen, sie ist das entscheidende Betätigungsfeld von Globalisierungskritikern jedweder Provenienz. Schön wäre es, ließe sich die "gute Realwirtschaft" von der "bösen Finanzwirtschaft" fein säuberlich trennen. Aber immer wieder zeigt sich, dass diese Trennung in hohem Maß Fiktion ist. Wirtschaft hatte immer schon mit "Spekulation" zu tun - und wo diese im Spiel ist, wird es bereits "böse". Das ist ja überhaupt das Dilemma aller einschlägigen Kritik: was wir heute als "Globalisierung" brandmarken, ist letztlich nichts anderes als die Fortschreibung des alten Prinzips des Austausches von Waren und Dienstleistungen unter radikal veränderten technologischen Bedingungen. Man kann gewiss zwischen dem Verschiffen von Waren im 18. Jahrhundert und modernen Finanztransaktionen einen qualitativen, nicht bloß quantitativen Unterschied sehen. Aber es liegt doch beides auf einer Linie, wurzelnd im expansiven Drang des Menschen.

Einem Drang, der so ambivalent ist wie der Mensch selbst; der aber - nehmt alles nur in allem - über die Jahrhunderte (und nocheinmal in ungeahnter Weise beschleunigt in den letzten Jahrzehnten) einen ungeheuren Zuwachs an Wissen, Wohlstand und Freiheit gebracht hat. Mehr als früher beschäftigen uns heute zu Recht die Opfer dieser Entwicklungen, die ungleichmäßige Verteilung dieser Zugewinne im kleinen wie im Weltmaßstab. Darüber nachzudenken, wie hier Abhilfe zu schaffen ist, zählt zweifellos zu den ganz großen, entscheidenden Herausforderungen unserer Tage. Aber wir sollten dabei nicht das "Kind mit dem Bade" ausschütten. Wahrscheinlich käme es ganz einfach nur auf mehr Anstand, Zurückhaltung, Bescheidenheit an; nur dass der Mensch halt tendenziell nicht anständig, zurückhaltend und bescheiden ist.

rudolf.mitloehner@furche.at

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