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Nach all den deprimierenden Nachrichten und Kommentaren über die Verarmung der Familien, die Geburtenrückgänge und die pharmazeutische oder medizinische Abtreibung werdenden Lebens sind die neuesten Trends geradezu erquickend. Es gibt wieder Mut zu neuem Leben, Freude an der Geburt von Kindern. Allein der Kalender ist der Anlaß.

In Europa und Amerika hat in den letzten Wochen eine Art Wettzeugung eingesetzt. Ziel ist die Geburt eines sogenannten Millenniums-Babys. Wie eine auffällige Kennzeichennummer des Autos soll das Kind das Geburtsdatum 1. 1. 2000 tragen und womöglich zum mitternächtlichen Sekundenschlag das Licht der Welt erblicken. Die Natur freilich - und auf ihrem Hintergrund der Schöpfer - hat wie in vielen Fällen der menschlichen Planung ihr Geheimnis entgegengesetzt.

Die bekannten neun Monate einer Schwangerschaft bedeuten, wie die gynäkologischen Experten versichern, in Wirklichkeit einen Geburtstermin der sich um plus/minus etwa 14 Tage verschieben kann. Die zielgenaue Zeugung ist, von der vordergründigen Motivation abgesehen, auch sonst eine pure Illusion. Es sei denn - und das ist zu erwarten und noch mehr zu befürchten -, ehrgeizige oder bestochene Geburtshelfer lösen die Wehen künstlich nach dem Uhrzeiger aus. Diesbezügliche Praktiken waren schon bisher vereinzelt im Wettlauf um die Neujahrsbabys nicht ganz unbekannt, obwohl zumindest in Österreich verantwortungsbewußte Ärzte und Spitalserhalter sich davon distanziert haben. Da diesmal ein internationales Wettrennen droht und die Medien Kamera und Mikrofon bei Fuß stehen, ist die Versuchung der Terminbeeinflussung besonders groß. Schließlich locken für den exakten Zeitpunkt auch hohe Prämien, in Kanada zum Beispiel gleich zwei Millionen Dollar - und auch sonst Reisen, Geschenke und Arrangements, die eifrige Sponsoren unter den Windelpolster des Jahrtausend-Frischling und seiner Eltern legen wollen.

Aus England verlautet, daß sich die dortige BBC bereits die Übertragungsrechte aus allen größeren Entbindungsstationen des Landes gesichert hat. Da wird der amerikanische CNN-Kanal kaum zurückstehen und wir werden überhaupt erleben, was weltweite elektronische Medienkonkurrenz im Gebär-Report leistet. Der heimische ORF hat bisher noch keine solchen Bravourstücke angekündigt und bedient sich vermutlich aus zweier Hand. Vermutlich erwarten die Küniglberger erst gar nicht, daß Österreich das Baby-Rennen gewinnt. Aber wer weiß, welcher kleine Herminator ausgerechnet bei uns ganz zufällig und in natürlicher Kraft die Welt in Erstaunen versetzt!

Wichtiger als Ärzte und Helfer-Teams werden für ehrgeizige Eltern Notare und Anwälte sein, die den Geburtsvorgang mit geeichter Stoppuhr bezeugen. Denn es scheint unvermeidlich, daß es Streit um den Vorrang geben wird. Wenn man weiß, daß im Sport heute Hundertstelsekunden über Sieg oder Niederlage entscheiden, kann der Schlag der Pummerin längst keine genaue Zeitmessung mehr sein. Das Schicksal öffentlichen Gebärens, in Monarchien einst für die betroffenen Frauen eher entwürdigend, erhält im Medienzeitalter eine neue Dimension.

Sosehr aber der Unfug solcher Datumsgier lächerlich sein mag, erhält er doch eine erfreuliche Bedeutung. Alle Eltern nämlich, die nun in gelungener oder fehlgeschlagener Absicht dem neuen Jahrtausend den ersten Erdenbürger schenken wollen, demonstrieren Optimismus und Zukunftswillen und setzen damit ein unverkennbares Signal gegen eine Weltuntergangsstimmung. Die Abstimmung an der Wiege, bzw. dem Kinderwagen, ist das überzeugendste Argument der Hoffnung. Es kann, soll und muß in diesem Fall auch eine Friedensforderung sein, im Gegensatz zum Emporschnellen der Geburtenziffern 1939, als die Parole von "Kindern für den Führer" nur Nachschub für Menschenmaterial bedeutete.

Womit freilich auch warnend daran erinnert sei, daß eigentlich jeder wie auch immer geartete Zeugungs-Appell von außen im Prinzip an der Würde des Menschen und der Liebe vorbeigeht. Daß die sonst um Sprache nicht verlegene Frauenbewegung sich dazu nicht äußert, ist verwunderlich.

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