Wall Street: Drogen, Hormone, Millionen

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"Das Stressniveau, auf dem sich die Investmentbanker auf den großen Finanzplätzen der Welt bewegen, zeigt sich in Arbeitszeiten bis zu 120 Stunden ."

Würde einer ein "Drogistisches Manifest" der Marktwirtschaft schreiben, er könnte so beginnen: "Die Geschichte der Drogen und Leistungsverstärker ist eine Geschichte der menschlichen Überforderung." Tatsächlich gibt es so etwas wie eine innere logische Verbindung von Drogen und Suchtgiften und den Anforderungen der modernen Leistungsgesellschaft. Diese beginnt nicht bei den Geschichten von Drogendealern, die in der Londoner City die Broker und Manager der großen Investmentbanken versorgen mit Koks und Pillen (davon später). Sie beginnt im ganz harmlosen, scheinbar alltäglichen Bereich. In den Assessment- und Personal(auswahl)-Abteilungen der Unternehmen. Das müssen nicht unbedingt Banken sein, es reichen auch schon Wald-und Wiesenbetriebe mittelständischer Natur. Nehmen wir als fiktives Beispiel einen Obstpakettierbetrieb.

Die Selbstübertreibung

Wenn ein junger Mensch von der Universität mit einem Diplom oder einem Master gesegnet nämlich Aufnahme sucht in diesem Unternehmen, dann muss er zweierlei tun. Er muss eine Selbstdarstellung samt einem Motivationsschreiben schicken. In beiden Schriftstücken geht es zunächst einmal darum, sich selbst über den Klee zu loben und dann auch noch darzustellen, warum Obstpakettieren immer schon der absolute Kindheitstraum war und dem gegenständlichen Obstpakettierbetrieb im Speziellen die Zukunft gehört - und zwar ganz. Und wie man selbst zu diesem großen Werk sein Schärflein beitragen könne. Bescheidenheit ist da nicht gefragt, sondern das Gegenteil. Wer die Selbstanpreisung scheut, hat kaum Chancen auf ein erstes Gespräch.

Die Gründe dafür liegen nicht einfach in der Eitelkeit der Unternehmen. Sie könnten vielmehr darin ruhen, dass Bescheidenheit und Selbstkritik in der Wirtschaft bestenfalls als Hemmung für Leistung und Umsatz gesehen werden. Im Unternehmen, aber auch ganz generell. Wie man ja auch im Warenhandel seit Generationen versucht, den natürlichen Hang des Menschen zur Bescheidenheit mit den Mitteln des Sonderangebots zu überwinden, oder sexualneurotisch ausgedrückt, Geiz "geil" zu machen.

Nun liegen zwar zwischen einem Obstpakettierbetrieb und einer Investmentbank in der Londoner City Welten. Aber das Grundproblem ist da wie dort, dass der Mitarbeiter angehalten ist, seinen Arbeitgeber zu einer Form des Überichs hochzuadeln und sich selbst über die Maßen (und Massen) zu erheben. Das legt die Basis für eine Fehlentwicklung, die im Obstpakettierbetrieb nicht sichtbar wird, wohl aber an der Wall Street.

Denn in der City wird die Leistung, derer man sich gerühmt hat, tatsächlich täglich und stündlich eingefordert. Der Karrieredruck und das Stressniveau, auf dem sich Investmentbanker auf den großen Finanzplätzen der Welt bewegen, zeigt sich in Arbeitszeiten bis zu 120 Stunden in der Woche. Terminkalender auf denen sich Sitzungen, Kundentermine, Präsentationen und Normalarbeit übereinander stapeln, sind durchaus normal. Die Angestellten entsprechen in ihrem Job praktisch den Instrumenten, die sie bewegen und die sie selbst bewegen. Sie sind schnell, effizient und zielgerichtet, sie stellen eine unerschöpfliche Ressource an Energie dar. Und ihre Mechanismen funktionieren so, als würde Geld, das sie nicht machen, zur Bedrohung.

Friss-oder-stirb-Mechanik

Es ist eine im Grund sehr einfach gestrickte Welt. Aber gerade diese einfachen Überleb-oder-stirb-Mechaniken sind es, die den Druck wie der Finanzhändler sagen würde -hebeln. Natürlich wird bei Erfüllung der Aufgabe der Dienende mit Geld belobigt, aber jenseits des Problems, dass man kaum Zeit hat, die Millionen in Freizeit oder Glück umzusetzen, etabliert sich das Privatleben als eine Unmöglichkeit oder als ein Feld der Zerstörung.

Nicht, dass all das keine Konsequenzen hätte. Druck und Stress verursachen Wucherungen in der menschlichen Physis. Eine Studie der University of Southern California untersuchte die Leistung von Wall-Street-Bankern. Nur in den ersten drei Jahren, so die Autorin der Langzeitbeobachtung Alexandra Michel, hielten die Banker dem Druck stand. Dann kam es zu einer Häufung von Gebrechen: Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit, Gewichtszunahme und Depressionen. Ab dem sechsten Jahr vermerkt die Studie Zusammenbrüche und starke Leistungseinbußen.

Wir haben vorhin erwähnt, dass selbst in den Supermärkten ums Eck Bescheidenheit ein Feind ist. Michels Studie zeigt, dass sich in der Finanzwelt andere Feinde dazugesellen, die eigentlich im natürlichen Leben zu den gesunden Faktoren gehören. Der wichtigste ist die Müdigkeit -ein No-Go für die Finanzwirtschaft.

Die Einstiegsdrogen gegen Müdigkeit kennen einige Trader schon aus dem Studium: Ritalin oder Modafinil halten die Konzentration von Studenten bis zu 48 Stunden aufrecht und werden laut Umfragen von bis zu 25 Prozent der Studenten in den USA konsumiert. Für Europa gibt es keine zuverlässigen Daten.

Ecstasy und Koks

Einmal in der Finanzindustrie angekommen, fordert das System aber nicht mehr nur Konzentration auf Arbeitsunterlagen, sondern auch noch die Betreuung von Kunden. Einschlägige. Ein Trader in London erzählt: "Wenn du es schaffst, einen verheirateten Kunden ins Striplokal mitzunehmen, hast du eine echte Beziehung."

Neben solchen archaischen Lustigkeiten (Geheimnis, Ware, Frau, Dominanz) helfen alle Arten von Drogen, den Stress abzubauen. Deshalb ist Alkoholismus, Kokainsucht und die regelmäßige Einnahme von Ecstasy an der Tages-und Nachtordnung. "Ich habe fünf Jahre in der City gearbeitet und bin beinahe zum Monster geworden", so ein Ex-Trader. "Es wurde enorm gesoffen, umso mehr, als man mit Kokain nichts spürt."

Besonders gefährdet in diesem System des Raubbaus sind die älteren Arbeitnehmer, die in den mittleren Rangordnungen der Banken hängen bleiben und mit den jungen Mitarbeitern mithalten müssen. Um kompetitiv und aggressiv zu bleiben, lassen sie sich Testosteron verabreichen, mit dem etwa der Hormonarzt Lionel Bisson sein Geschäft macht. 90 Prozent seiner Kunden kommen aus der Finanzindustrie.

Entsprechend hoch dürfte auch die Dropout-Rate aus der Finanzindustrie sein, über die bezeichnenderweise sehr wenig Daten vorliegen. In Foren für angehende Finanztrader wird von 90 Prozent in den ersten zwölf Monaten berichtet. Doch es scheint Hoffnung zu geben. Jüngst machte das weltgrößte Investmenthaus Goldman Sachs von sich reden. Der Konzern suche nun "den Menschen im Mitarbeiter". Die zweite Meldung stammt von US-Unversitätsstatistikern und klingt noch nachhaltiger. Demnach drängen Uniabsolventen nicht mehr zu den Investmentbanken. Business-Kaderschmieden wie Princeton oder Columbia-University zeigen im Segment Investment seit 2008 einen Schwund an Bewerbungen von bis zu 45 Prozent.

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