Herr Winterkorn und die Urhorde

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Die Ursachen des Abgasskandals bei VW sind nicht nur im Konzern-Management zu suchen. Sie beruhen auf weit verbreiteten Strategien der Rücksichtslosigkeit und des Erfolgszwangs in Konzernen. Die Auswüchse: Psychopathie und Sadomasochismus. Ein Essay.

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Die Ursachen des Abgasskandals bei VW sind nicht nur im Konzern-Management zu suchen. Sie beruhen auf weit verbreiteten Strategien der Rücksichtslosigkeit und des Erfolgszwangs in Konzernen. Die Auswüchse: Psychopathie und Sadomasochismus. Ein Essay.

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Das Auto ist alles andere, als ein bloßes Fortbewegungsmittel. Es ist der Stolz der Nachkriegsgeneration. Für Deutschland ist es Wiederaufbau und Vergessen, Selbsterbauung und Reichtumsspender. Die von der Welt Verabscheuten und Dämonisierten konnten am Automobil zu Qualitäts- und Wertproduzenten konvertieren. Und diese neue Verzahnung der Volksseele mit der Welt war auch noch hauptverantwortlich für ein Wirtschaftswunder - womit das Automobil alle Ingredienzien einer ökonomischen Heilserfahrung beinhaltet. Zahlen sprechen Wohlstand: Nimmt man die Zulieferindustrie hinzu, sind in Deutschland mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze direkt an das Auto geknüpft. Und 500.000 davon an Volkswagen. Das deutsche Auto ist nicht nur ein übliches Symbol für Dynamik, Leistungsvermögen, Potenz. Es addiert symbolisch Geldwert und Arbeitswert zu einer beinahe ethischen Größe. Es ist das Gut, das für das Gute steht.

Wenn so eine Traumfigur aber Kratzer erhält, dann kann das auch Verwerfungen des nationalen Selbstbildes zur Folge haben. Und deshalb ist der Fall Volkswagen nicht einfach ein moralisches und wirtschaftliches Versagen, sondern viel mehr. Es geht bei weitem nicht nur um Abgaswerte, die mal beiläufig im Zuge eines moralischen Ausrutschers so hingeschönt wurden. Was, wenn sich herausstellte, dass es sich hier nicht bloß um individuelles Versagen handelt -sondern um Betrug und Täuschung, die niemand anderer erzwungen hat als das System selbst?

Beginnen wir hier: Volkswagen als Unternehmen, das heißt vor allem Disziplin, Genauigkeit und Stärke. Der nun entlassene Vorstand Martin Winterkorn war geradezu ein herausragendes Beispiel dieser Eigenschaften. Penibel bis ins kleinste Detail, ehrgeizig, leistungsbereit. Er wusste, was VW braucht: "Wachstum, Wachstum, Wachstum", wie der Spiegel in einem facettenreichen Porträt des "Wolfsburger Weltreichs" Volkswagen und seinen unumstrittenen Herrscher Winterkorn schrieb.

Die Überforderung des Einzelnen

Aber kann das einer alleine? Kann einer an Nachhaltigkeit denken, der sich immer nur an der Größe der Konkurrenz misst? Meint Winterkorn Achtung, wenn er einzelne Angestellte vor versammelter Menge "niederbügelt", und seine Sitzungen zu einem Tribunal umgestaltet, gewürzt mit Schreiattacken, von denen der Spiegel im Detail berichten konnte, weil er dazu eingeladen war. Oder ist es nicht schon Ausdruck einer tiefen Verantwortungsangst, wenn einer, der 550.000 Mitarbeiter in 27 Nationen leiten soll, bei einer Präsentation nachzumessen beginnt, ob die Lackschicht eines Wagens (von 9,2 Millionen produzierten) mehr als 120 Mikrometer misst?

Und trotzdem kann Winterkorn auch als Opfer dargestellt werden. Opfer einer Struktur, die ihn zur Gnadenlosigkeit trimmte. Globale Konzerne wie VW sind meist nach einer Matrix aufgebaut, die streng hierarchisch ist. Nicht umsonst heißt es dort "Gras wächst dort, wo der Chef hinblickt". Der britische Psychologe JC Flugel hat solche Führungsprinzipien treffend mit "Armeen im Kriegszustand" verglichen. Nicht umsonst sieht man allerorten Chefs und Offiziere: "Chief Executive Officer","Chief Financial Officer","Chief Marketing Officer" usf.

Wer die Verhaltenscodizes führender Industrieunternehmen und Banken vergleicht, wird stets auf das gleiche Anforderungsprofil stoßen: Disziplin, Gehorsam, Härte gegen sich selbst und gegen die Konkurrenz. Unter dieser Norm vereinen sich große Namen, wie Goldman Sachs, Deutsche Bank, Volkswagen und viele andere mehr. Und der Sukkus dieser Hierarchie wird gerne mit einem Zitat von Aristoteles gerechtfertigt: "Nur der, der gelernt hat, zu gehorchen, kann auch führen". Wenn dieses "Sich-die-Karriereleiter-Hochleiden" aber krankhaft wird, machen sich sadomasochistische Tendenzen breit. Sigmund Freud nannte das "turning around the subject" das Individuum wird vom "Gerne-Erleidenden" zum "Leid-Zufügenden".

Dieser Führende, der andere leiden lässt weil auch er gehorsam gelitten hat (und das Ethos nennt), ist die Karikatur der von Max Weber in seiner Studie über die protestantische Wirtschaftsethik beschriebenen "stahlharten puritanischen Kaufleute", die "rastlose Berufsarbeit" zur Erlangung ihrer Selbstgewissheit brauchen.

Aggressive Tendenzen

Selbst wenn man nicht Sadomasochismus ins Treffen führen will - wo landet man bei der Beschreibung solcher Karrieresymptome, wenn nicht bei Aggression? Nach welchem Vorbild werden die Studenten ausgebildet, die später die Elite bilden sollen? Die "Stahlhärte" scheint offenbar im Trend zu liegen, samt ihren Nebenerscheinungen: In einer Langzeitanalyse wies die Psychologin Sara Konrath nach, dass das Mitgefühl bei US-Collegeabsolventen zwischen 1979 und 2009 beständig abnahm.

Umgekehrt formuliert sichert Aggression wirtschaftlichen Erfolg, weil die auf diese Art "entfesselte" Wirtschaft vielfach die rüdesten Handlungsformen belohnt: Rücksichtslosigkeit, Einsatzbereitschaft, Ehrgeiz, Geldfixierung, der Wille zur Macht und zur Führung über den ökonomischen Kampf.

Der kanadische Psychologe Robert Hare und der US-Unternehmensberater Paul Babiak sind in Studien über die Führungskräfte von hochkompetitiven Unternehmen zu dem Ergebnis gekommen, dass der Anteil an Psychopathen dort dreimal höher als im Durchschnitt der Gesellschaft ist. Tatsächlich kommen die Rahmenbedingungen dem Psychopathen entgegen. Ihm fehlt zum einen die emotionale Tiefe, nicht aber Intelligenz und auch nicht das Benehmen. Er ist charmant und witzig gegenüber Menschen, von denen er sich Vorteile verspricht, andererseits aber brutal und rücksichtslos gegen Untergebene. Der Psychologe Hare drückt das so aus: "Denken Sie an ein soziales Raubtier, das von Bereichen angezogen wird, in dem es einen Gewinn vermutet." Was bräuchte ein Konzern im Wettbewerb mehr?

Der Wolfsmanager

Um diesen Typ Manager zu fördern hat sich ein ganzer Markt entwickelt. In Deutschland bietet ein Unternehmen den Businessmen etwa den Kurs "Führen wie die Wölfe" an -samt Teilnahme am "Talent-Workshop -Wolf Leadership" in einem Tierpark in der Lüneburger Heide. Dort werden dann auch die Vorzüge der strikten Rangordnung und Unterwerfung gezeigt, wie sie eben im Manager-Rudel üblich sein sollten.

Statt über die mächtigeren Zähne definiert sich diese Rangordnung über Geld. Hören wir dazu den ehemaligen Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, der einmal gefragt von der Zeit wurde, ob denn sein Gehalt von 13,2 Millionen Euro gerechtfertigt sei. Ackermann antwortete: "Das muss so sein. Auch die Mitarbeiter erwarten, dass der Chef der Deutschen Bank im internationalen Vergleich hervorragend dasteht ... Als ich zur Deutschen Bank kam, hatte ich zwei Millionen Mark (Jahresgehalt, Anm.). Wenn ich heute ein vergleichbares Gehalt hätte, würde ich jeden Respekt verlieren. Man würde sagen: Der hat keinen Marktwert."

Wenn wir nun blasphemisch formulieren und Freud heranziehen wollen, sind wir hier an ein modernes Abbild einer ursprünglichen Stammesgesellschaft gelangt. In einer solchen Urhorde steht eine absolute Vaterfigur an der Spitze der Gruppe, die absoluten Gehorsam verlangt und über alle Güter verfügt. Die Entwicklung der Gesellschaft hat diese Hordengemeinschaft ersetzt durch die Herrschaft der Gruppe und schließlich auch durch demokratische Prinzipien. Was sehen wir aber von diesem Fortschritt in Großunternehmen?

Müsste man hier nicht sogar feststellen, dass es zu einer Rückentwicklung gekommen ist? In einer Zeit, in der die Wirtschaft aus traditionsreichen Unternehmen bestand, mit einem relativ fixen Personalstand, langfristigen Strategien und langfristigen Beschäftigungsverhältnissen, musste der psychopathische Charakter auffallen. Doch in der Unübersichtlichkeit von Matrix-Strukturen der multinationalen, globalisierten Konzerne, kommen und gehen die Spitzenmanager in viel kürzerer Zeit.

Sie haben ja auch nur mehr eine Funktion zu erfüllen: Gewinn zu machen, koste es was es wolle. Und sei es auch nur mit einem Abgastest, der die Welt in die Irre führt und am Ende den Häuptling den Kopf kostet. Das System ändert das freilich nicht. Die Nachfolger stehen ja bereit und die Autowelt dreht sich nach den gleichen weiter, gerade so als wäre nichts geschehen. Wie lautet die Devise:"Wachstum, Wachstum, Wachstum!"

BUCHTIPP

Die Psychopathologie der Ökonomie

Warum kann die Ökonomie so vieles erklären und beeinflussen, aber ausgerechnet Krisen nicht? Warum wurde das irrationale Element in der Wirtschaft bisher so wenig beachtet? Wie kommt es zu Gier und Panik auf den Märkten. Was führt die Ökonomie immer wieder zu Manie und Depression? Die einzige Wissenschaft, die darauf Antwort geben kann, ist die Psychologie. Der Ökonom, Bestsellerautor und FURCHE-Kolumnist Tomás Sedlác ek und Oliver Tanzer haben vor drei Jahren begonnen, die Ökonomie von dieser Seite her zu beleuchten. Sie sind dabei auf zahlreiche krankhafte Erscheinungen gestoßen ,die das System nicht nur am Rande betreffen, sondern an den Schalthebeln der Wirtschaft sitzen. Darunter befinden sich Realitätswahrnehmungs-und Angststörungen, Narzissmus, Sadomasochismus, Kleptomanie und "ökonomische" Gemütskrankheiten bipolarer Natur. Wie in der psychoanalytischen Lehre werden diese Krankheiten mit Hilfe von Mythen (wie jenem der zu Produktion und Vernichtung verfluchten Dämonin Lilith) dargestellt und anschaulich gemacht. Jetzt im Buchhandel. (red)

Lilith und die Dämonen des Kapitals

Die Neurosen der Ökonomie, Von Tomás Sedlácek und Oliver Tanzer, Verlag Hanser 2015.352 S., gebunden, € 26,00

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