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Ein Nein zur Ostpolitik

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Die bayerischen Landtagswahlen brachten ' ein erwartetes Ergebnis. Daß die CSU ihre Vormachtstellung halten werde, stand für politisch Informierte fest Nicht einmal die hohen Gewinne der CSU überraschten besonders. Neugierig stimmte eigentlich nur das Abschneiden der FDP, die vor zwei Wochen eher überraschend zehn Prozent der Stimmen in Hessen erringen kannte. . Die Frage war nun, ob sie sich auch in Bayern behaupten, beziehungsweise, ob sie wieder kommen wird, da sie in den letzten vier Jahren im bayerischen Landtag keinen Vertreter besaß. Es ging also darum, ob die FDP in einem der sieben bayerischen Landkreise die Zehnprozenthürde überspringen werde. Sie hat es und errang sogar mehr als zwölf Prozent, und zwar in ihrem Hoffnungswahl-kreis, in Mittelfranken, wo sie 1966 nur 9 Prozent erreichte. Hier setzte sie alles ein, was sie an Spitzenkräften besitzt, ihre gesamte Bundesprominenz, vor allem die Staatssekretärin Hildegard Hamm-Brücher, eine intelligente Frau mit scharfer Zunge, deren Steckenpferd die Bildungspolitik ist, von der sie, übrigens zu Unrecht, annimmt, daß sie in Bayern noch unterentwickelt sei. Es ist ziemlich wahrscheinlich, daß die FDP in diesem Wahlkreis, und nur in diesem, auch stimmenmäßig die Unterstützung der SPD erhielt, ähnlich wie in Hessen, weil sich die deutschen Sozialdemokraten zwar eigene Stimmverluste, nur keine schwere Niederlage der FDP leisten können. Mit der FDP, vor allem aber mit Walter Scheel, steht und fällt die Brandtsche Ostpolitik, die aus inmen-und außenpolitischen Gründen die liberale Unterstützung benötigt. Beide stehen wie ein Dioskurenpaar für den Ostkurs der Bundesregierung ein, der bedeutet, daß am Anfang der Verzicht, steht, und sich alles übrige finden werde.

Um diese Ostpolitik 'ging es in erster Linie im bayerischen Wahlkampf. Dann kam die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und zuletzt kam die bayerische Landespolitik. Franz Josef Strauß, die beste Wahllokomotive der CSU und das größte politische Naturtalent der westdeutschen Politikerzunft, zugleich aber auch einer der umstrittensten Politiker überhaupt, hat in Bayern mit letzter Konsequenz den Wahlkampf als Oppositionspolitiker geführt. Das, was seine Kollegen von der CDU nur hinter vorgehaltener Hand flüstern, das verkündet er expressis verbis mit allem Temperament, das er im Überfluß besitzt: Die CDU ist das Sammelbecken für alle nationalen Kräfte, die den Ausverkauf der deutschen Interessen durch die derzeitige Bundesregierung ablehnen. Der Erfolg stellte sich ein: Die NPD, bisher mit 15 Mandaten im bayerischen Landtag vertreten, büßte sämtliche Mandate ein, und verlor von ihren 7,4% Stimmenanteil mehr als 4%. Es wäre jedoch billig, die Stimmengewinne der CSU, die von 48,1% auf 56,4% stieg, zum größten Teil auf ehemalige NPD-Wähler zurückzuführen. Die CSU konnte zweifellos auch sozialdemokratische Stimmen gewinnen. Da die FDP nur 0,4% an Stimmen gewann, kamen die 2,5% Verluste der SPD, die von 35,8% auf 33,3% fiel, der CSU zugute, was übrigens auch die Gewinne der CSU in den Städten beweist. Das Uberwechseln von SPD-Stimmen zur CSU wird verständlich, wenn man bedenkt, daß der Obmann des Bundes der Schlesier, der SPD-Abgeordnete Hupka, die Ostpolitik Brandts und Scheels insbesondere im Hinblick auf den Warschau-Vertrag als Vernichtung des Selbstbestimmungsrechts bezeichnet und damit eigentlich das Gleiche sagt wie der schärfste Formulierer der Opposition, der CSU-Abgeordnete Gutten-berg: Das Kabinett habe sich „offen von seiner Verantwortung für die ganze deutsche Nation losgesagt“. Mehr als 60% der bayerischen Wähler — man muß in diesem Fall auch die Stimmen der Bayernpartei und der NPD zählen — haben sich gegen die Ostpolitik der Regierung Brandt ausgesprochen. Daran ist nicht zu rütteln, denn die Regierung selbst hat alles getan, um die bayerischen Wahlen zu Testwahlen hinaufzuspielen. Nicht nur, daß die gesamte Regierungsprominenz, vielfach mit Flugzeugen der deutschen Bundeswehr befördert, im Wahlkampf eingriff, sondern die Bundesregierung beeilte sich, noch vor den Wahlen den deutsch-polnischen Vertrag zu paraphieren.

Die Regierungsparteien hatten übrigens kein gutes Gefühl. In der „SZ“ vom 14. November schrieb der Renommier-Sozialdemokrat Günther Grass, daß in Bayern „Dummheit, Reaktion und Rückständigkeit“ herrschen und man deshalb nicht von freien Wahlen sprechen könne. Dies in einem Land, das seit der CSU-Alleinregierung unter Ministerpräsident Goppel zu den strukturpolitisch bestgeführten Ländern der Bundesrepublik zählt. Die Bayern gaben auch auf solch ein überhebliches Urteil eines Außenseiters eine klare Antwort, wie sie ja Strauß um so mehr wählen, je härter ihn der „Spiegel“ angreift. Bayern über alles, das gilt selbst heute noch, obwohl ein Großteil Nicht-Bayern das Land bevölkert Bei allen fünf Landtagswahlen, die seit Antritt der Regierungskoalition Brandt—Scheel in der deutschen Bundesrepublik stattgefunden haben, konnte die CDU-CSU hohe Gewinne erzielen, während die Sozialdemokraten Verluste erlitten. Die FDP verschwand aus drei Landtagen, vermochte sich aber in Hessen und Bayern wieder zu stabilisieren. Die Ostpolitik, die Brandt/Scheel als eine Abkehr von Illusionen charakterisieren, strapaziert, wie sich immer mehr zeigt, doch zu sehr das Nationalgefühl der Deutschen. Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung aber, die mit großen THusionen begann, desillusioniert im steigenden Maße die Bevölkerung. Das sind die aus den bayerischen Wahlen zu ziehenden Erkenntnisse.

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